Die Freude am Leben
Lazare anzuklopfen, der sich in seinem Zimmer eingeschlossen hatte, erbittert über das viele Unglück, mit dem das Schicksal ihn überhäufte.
»Wir können sie so nicht lassen«, erklärte sie. »Wir müssen mit ihr sprechen. Komm mit mir.«
Louise stand im ersten Stockwerk gekrümmt am Geländer, ohne mehr die Kraft zu haben, hinauf oder hinunterzugehen.
»Mein liebes Kind«, sagte Pauline sanft, »wir machen uns Sorgen um dich ... Wir werden die Hebamme holen lassen.«
Da wurde Louise böse.
»Mein Gott! Ist es denn möglich, mich so zu quälen, wenn ich nichts anderes verlange, als daß man mich in Ruhe läßt! Was soll die Hebamme wohl im achten Monat tun?«
»Es wäre immerhin vernünftiger, sie zu rufen.«
»Nein, ich will nicht, ich weiß, was es ist ... Um Himmels willen, sprecht nicht mehr mit mir, quält mich nicht länger!«
Und Louise beharrte mit so übertriebenem Zorn darauf, daß Lazare nun auch aufbrauste. Pauline mußte ausdrücklich versprechen, die Hebamme nicht holen zu lassen. Diese Hebamme war eine Frau Bouland aus Verchemont, die in der Umgegend im Ruf außergewöhnlicher Geschicklichkeit und Tatkraft stand. Man schwor, daß man ihresgleichen weder in Bayeux noch selbst in Caen finden würde. Deshalb hatte die sehr verzärtelte Louise, von der Vorahnung befallen, daß sie bei der Niederkunft sterben würde, den Entschluß gefaßt, sich in ihre Hände zu begeben. Aber sie hatte deshalb nicht weniger große Angst vor Frau Bouland, jene unsinnige Angst, die man vor dem Zahnarzt hat, der heilen soll und den man trotzdem so spät wie möglich aufsucht.
Um sechs Uhr trat wieder eine plötzliche Beruhigung ein. Die junge Frau triumphierte: Sie sagte es ja, es waren ihre gewohnten Schmerzen, nur stärker; was hätte es genutzt, die Leute für nichts und wieder nichts in Bewegung zu setzen! Da sie tot vor Müdigkeit war, zog sie es indessen vor, zu Bett zu gehen, nachdem sie ein Kotelett gegessen hatte. Alles wäre vorbei, erklärte sie, wenn sie schlafen könnte. Und sie wies eigensinnig alle Fürsorge zurück, sie wollte allein bleiben, während die Familie zu Abend aß, sie erlaubte nicht einmal, daß jemand nach ihr schaute, weil sie fürchtete, aus dem Schlaf geschreckt zu werden.
Es gab an jenem Abend Rindfleischsuppe und ein Stück Kalbsbraten. Zu Beginn der Mahlzeit waren alle schweigsam, dieser Anfall Louises kam noch zu der Traurigkeit über Paulines Abreise hinzu. Man vermied, mit den Löffeln und Gabeln zu klappern, als hätte das Geräusch bis hinauf ins erste Stockwerk dringen und die Kranke noch mehr aufbringen können. Chanteau jedoch kam in Fahrt, erzählte Geschichten von außergewöhnlichen Schwangerschaften, als Véronique, die den aufgeschnittenen Kalbsbraten brachte, plötzlich sagte:
»Ich weiß nicht, mir scheint, sie stöhnt da oben.«
Lazare stand auf, um die Tür zum Flur zu öffnen. Alle hielten inne und lauschten. Man hörte zunächst nichts; dann drangen langgezogene, unterdrückte Klagelaute zu ihnen.
»Da hat es sie wieder gepackt«, murmelte Pauline. »Ich gehe hinauf.«
Sie warf ihre Serviette hin und rührte nicht einmal die Scheibe Kalbfleisch an, die das Hausmädchen ihr auflegte. Der Schlüssel steckte glücklicherweise im Schloß, sie konnte eintreten. Auf dem Rand ihres Bettes sitzend, wiegte sich die junge Frau, bloßfüßig und in einen Morgenrock gehüllt, mit der Bewegung eines Uhrpendels hin und her, unter der unerträglichen Beständigkeit eines Schmerzes, der ihr laute, regelmäßige Seufzer entriß.
»Geht es dir schlechter?« fragte Pauline.
Sie antwortete nicht.
»Sollen wir jetzt Madame Bouland holen?«
Da stammelte sie mit dem Ausdruck eigensinniger Ergebung:
»Ja, mir ist es gleich. Vielleicht habe ich Ruhe nachher ... Ich kann nicht mehr, ich kann nicht mehr ...«
Lazare, der hinter Pauline heraufgekommen war und an der Tür horchte, wagte einzutreten und meinte, es sei auch ratsam, Doktor Cazenove aus Arromanches zu holen, für den Fall, daß sich Komplikationen einstellen sollten. Aber Louise begann zu weinen. Hatten sie denn nicht das geringste Mitleid mit ihrem Zustand? Warum quälten sie sie so? Sie wußten doch sehr gut: Der Gedanke, daß ein Mann sie entbinden würde, hatte sie immer empört. Es war in ihr die krankhafte Scham einer gefallsüchtigen Frau, ein Unbehagen, sich in der entsetzlichen Preisgabe des Leidens zu zeigen, das sie selbst vor ihrem Mann und vor ihrer Cousine veranlaßte, den Morgenrock eng um ihre
Weitere Kostenlose Bücher