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Die Freude am Leben

Die Freude am Leben

Titel: Die Freude am Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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armen gekrümmten Lenden zu schlingen.
    »Wenn du den Doktor holst«, stammelte sie, »dann leg ich mich ins Bett, dreh mich zur Wand und geb niemand mehr eine Antwort.«
    »Bring nur immer die Hebamme mit«, sagte Pauline zu Lazare. »Ich kann auch nicht glauben, daß es schon soweit ist. Wir müssen sie nur beruhigen.«
    Beide gingen wieder hinunter. Abbé Horteur war gekommen, rasch einen guten Abend zu wünschen, und er blieb stumm angesichts des verstörten Chanteau. Lazare sollte wenigstens ein Stück Kalbfleisch essen, bevor er sich auf den Weg machte; doch er erklärte, ihm würde jeder Bissen im Halse steckenbleiben, und er lief los nach Verchemont.
    »Ich glaube, sie hat mich gerufen«, sagte Pauline und stürzte zur Treppe. »Wenn ich Véronique brauchen sollte, klopfe ich ... Du ißt ohne mich zu Ende, nicht wahr, Onkel?«
    Dem Priester war es unangenehm, daß er so mitten in eine Entbindung hineinplatzte, und er fand nicht seine üblichen Trostworte. Er zog sich schließlich zurück, nachdem er versprochen hatte wiederzukommen, wenn er die Gonins besucht hätte, wo der sieche alte Mann sehr krank war. Und Chanteau blieb allein an dem schrecklich unordentlichen, halb abgegessenen Tisch zurück. Die Gläser waren noch halb voll, das Kalbfleisch wurde auf den Tellern kalt, die fettigen Gabeln und die bereits angebissenen Brotstücke lagen herum, hingeworfen in dem plötzlichen Wirbel der Unruhe, der über das Tischtuch gefahren war. Während das Hausmädchen vorsichtshalber schon einen Kessel mit Wasser aufs Feuer setzte, brummte sie, daß sie nicht wisse, ob sie den Tisch abräumen oder alles so drunter und drüber liegenlassen solle.
    Oben war Louise aufgestanden und hielt sich an einer Stuhllehne fest, als Pauline ins Zimmer trat.
    »Ich halt es nicht aus, wenn ich sitze, hilf mir beim Gehen.«
    Seit dem Morgen klagte sie über ein Zucken auf der Haut, als hätten Mücken sie übel zerstochen. Jetzt waren es innere Krämpfe, sie hatte das Gefühl, als sei ihr Leib in einen Schraubstock gepreßt und werde immer fester zusammengedrückt. Sobald sie sich setzte oder legte, schien eine bleierne Masse ihr die Eingeweide zu zermalmen, und sie empfand das Bedürfnis, hin und her zu gehen; sie hatte den Arm ihrer Cousine ergriffen, die sie vom Bett zum Fenster führte.
    »Du hast ein wenig Fieber«, sagte das junge Mädchen. »Möchtest du vielleicht etwas trinken?«
    Louise vermochte nicht zu antworten. Ein heftiger ziehender Schmerz hatte sie zusammengekrümmt, und sie hängte sich an Paulines Schultern mit einem solchen Zittern, daß sie beide davon erbebten. Schreie entrangen sich ihr, in denen Ungeduld und Entsetzen zum Ausdruck kamen.
    »Ich sterbe vor Durst«, murmelte sie, als sie endlich sprechen konnte. »Meine Zunge ist wie ausgedörrt, und du siehst, wie rot ich bin. Aber nein, nein, laß mich nicht los, ich falle sonst. Laß uns noch ein bißchen gehen, nur gehen, ich trinke dann später.«
    Und sie setzte ihre Wanderung fort, zog die Beine schleppend nach, wiegte sich hin und her und hing immer schwerer an dem Arm, der sie stützte. Zwei Stunden lang ging sie unablässig auf und ab. Es war neun Uhr. Warum kam diese Hebamme nicht? Jetzt sehnte sie sie glühend herbei und sagte, man wolle sie also sterben sehen, da man sie so lange ohne Hilfe ließ. Verchemont war fünfundzwanzig Minuten entfernt, eine Stunde hätte genügen müssen. Lazare vergnügte sich wohl, oder es war ein Unglück geschehen; nun sei alles zu Ende, niemand würde zurückkommen. Übelkeit schüttelte sie, sie mußte sich erbrechen.
    »Geh, ich will nicht, daß du bleibst! Ist es denn möglich, mein Gott, daß man in einen Zustand kommt, daß es alle Welt vor einem ekeln muß?«
    Es beschäftigte sie in der greulichen Qual einzig die Sorge um ihre Schamhaftigkeit und ihre weibliche Anmut. Ihre Nerven waren trotz ihrer zarten Glieder sehr widerstandsfähig, sie setzte ihre letzte Kraft darein, sich nicht gehenzulassen, gemartert von dem Gedanken, daß sie ihre Strümpfe nicht hatte überstreifen können, beunruhigt über jedes Zipfelchen Nacktheit, das sie zeigte. Aber sie geriet in eine noch größere Verlegenheit, denn unaufhörlich quälte sie ein eingebildetes Bedürfnis; sie verlangte, daß ihre Cousine sich umdrehte, und versteckte sich selbst hinter einem Zipfel des Vorhanges, um zu versuchen, dieses zu befriedigen. Da die Magd heraufgekommen war, ihre Dienste anzubieten, stammelte Louise mit verzweifelter Stimme bei den

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