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Die Freude am Leben

Die Freude am Leben

Titel: Die Freude am Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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blieben auf dem Treppenabsatz und vermochten nicht, sich noch weiter zu entfernen. Die Kerze, die man unten gelassen, erhellte das Treppenhaus mit dem von wunderlichen Schatten unterbrochenen Schein einer Nachtlampe; und sie standen da, der eine an die Wand, der andere ans Geländer gelehnt, reglos und schweigsam. Sie lauschten. Undeutliche Klagelaute drangen immerfort aus dem Zimmer hervor, dann zwei herzzerreißende Schreie. Eine Ewigkeit schien zu vergehen bis zu dem Augenblick, da die Hebamme endlich öffnete. Sie wollten eintreten, wurden aber zurückgedrängt von der Hebamme, die selber herauskam und die Tür wieder schloß.
    »Was ist?« murmelte Pauline.
    Mit einem Zeichen bedeutete sie ihnen, sie sollten hinuntergehen, und unten erst, im Flur, sprach sie.
    »Der Fall droht ernst zu werden. Es ist meine Pflicht, die Familie in Kenntnis zu setzen.«
    Lazare erbleichte. Ein kalter Hauch hatte sein Gesicht erstarren lassen. Er stammelte:
    »Was gibt es?«
    »Das Kind liegt mit der linken Schulter vorn, soweit ich mich davon habe überzeugen können, und ich fürchte sogar, daß der Arm zuerst kommt.«
    »Und weiter?« fragte Pauline.
    »In einem solchen Fall ist die Anwesenheit eines Arztes unbedingt notwendig ... Ich kann die Verantwortung für die Entbindung nicht übernehmen, zumal im achten Monat.«
    Alle drei schwiegen. Dann fuhr Lazare verzweifelt auf. Wo sollte er in dieser nächtlichen Stunde einen Arzt finden? Seine Frau konnte zwanzigmal sterben, bevor er den Doktor aus Arromanches geholt hätte.
    »Ich glaube nicht an eine unmittelbare Gefahr«, wiederholte die Hebamme. »Machen Sie sich sofort auf den Weg ... Ich selber kann nichts tun.«
    Und da Pauline sie nun ihrerseits anflehte zu handeln, im Namen der Menschlichkeit, um der Unglücklichen, deren lautes Stöhnen das Haus noch immer erfüllte, wenigstens Erleichterung zu verschaffen, erklärte sie unumwunden:
    »Nein, das ist mir verboten ... Die andere in dem Dorf da ist gestorben. Ich will nicht, daß diese hier mir auch unter den Händen bleibt.«
    In diesem Augenblick hörte man, wie Chanteau im Eßzimmer weinerlich rief:
    »Seid ihr da? Kommt doch herein! Keiner sagt mir etwas. Seit Ewigkeiten warte ich schon auf Nachricht.«
    Sie gingen hinein. Seit dem unterbrochenen Abendessen hatte man Chanteau vergessen. Er war vor dem gedeckten Tisch sitzen geblieben und drehte geduldig die Daumen mit der schläfrigen Ergebung eines Kranken, der an langes, einsames Unbeweglichsein gewöhnt ist. Dieses neue Unheil, das das Haus in Aufruhr versetzte, stimmte ihn traurig; er hatte nicht einmal Lust gehabt, zu Ende zu essen, die Augen auf seinen noch vollen Teller gerichtet.
    »Es geht ihr also nicht gut?« murmelte er.
    Lazare zuckte wütend die Achseln. Frau Bouland, die ihre ganze Ruhe bewahrte, riet ihm, nicht noch mehr Zeit zu verlieren.
    »Nehmen Sie den Wagen. Das Pferd kann zwar kaum laufen, aber in zwei bis zweieinhalb Stunden können Sie hin und zurück sein ... Bis dahin werde ich wachen.«
    Da stürzte er in jähem Entschluß hinaus, mit der Gewißheit, daß er seine Frau tot wiederfinden würde. Man hörte ihn fluchen und auf das Pferd einschlagen, das den Wagen unter lautem Gerassel entführte.
    »Was ist los?« fragte von neuem Chanteau, dem niemand antwortete.
    Die Hebamme ging schon wieder hinauf, und Pauline folgte ihr, nachdem sie ihrem Onkel nur gesagt hatte, daß die arme Louise viel aushalten müsse. Als sie ihm anbot, ihn zu Bett zu bringen, weigerte er sich und bestand eigensinnig darauf, aufzubleiben, um das Weitere zu erfahren. Wenn ihn der Schlaf übermannte, würde er sehr gut in seinem Sessel schlafen, wie er ja ganze Nachmittage darin schlief. Kaum war er wieder allein, als Véronique mit ihrer erloschenen Laterne zurückkam. Sie war wütend. Seit zwei Jahren hatte sie nicht so viele Worte verloren.
    »Sie hätten es sagen sollen, daß sie auf der anderen Straße kommen würden! Und ich habe in allen Gräben nachgesehen und bin bis nach Verchemont gelaufen wie eine Blöde! Dort habe ich noch eine reichliche halbe Stunde mitten auf dem Weg gewartet.«
    Chanteau blickte sie mit seinen verschwollenen Augen an.
    »Allerdings, Véronique, ihr konntet euch kaum begegnen!«
    »Dann, wie ich zurückkomme, sehe ich da Herrn Lazare, der wie ein Verrückter in einem erbärmlichen Wagen dahingaloppiert ... Ich schreie ihm zu, daß man auf ihn wartet, aber er schlägt noch stärker auf das Pferd ein, und es fehlte nicht viel, so hätte er

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