Die Freude am Leben
ersten Beschwerden, die sie zu fühlen glaubte:
»Oh, nicht vor diesem Mädchen ...! Ich bitte dich, schick sie einen Augenblick auf den Flur.«
Pauline verlor allmählich den Kopf. Es schlug zehn Uhr, sie wußte nicht, wie sie die lange Abwesenheit Lazares erklären sollte. Ohne Zweifel hatte er Frau Bouland nicht angetroffen; aber was würde nun geschehen, wenn sie doch nicht wußte, was sie machen sollte mit dieser armen Frau, deren Zustand sich zu verschlimmern schien? Sie entsann sich zwar ihrer ehemaligen Lektüre, sie hätte Louise gern untersucht, in der Hoffnung, sich und sie selber zu beruhigen. Allein sie fühlte, wie schamhaft Louise war, so daß sie zögerte, ihr das vorzuschlagen.
»Hör zu, meine Liebe«, sagte sie endlich, »laß mich einmal nachsehen.«
»Du! O nein! O nein! Du bist ja nicht verheiratet.«
Pauline konnte sich nicht enthalten zu lachen.
»Aber das macht doch nichts! Ich wäre so glücklich, dir Erleichterung zu verschaffen.«
»Nein! Ich würde vor Scham sterben, ich könnte nie mehr wagen, dir ins Gesicht zu sehen.«
Es schlug elf Uhr, das Warten wurde unerträglich. Véronique brach mit einer Laterne nach Verchemont auf, mit der Weisung, alle Straßengräben abzuleuchten. Zweimal hatte Louise versucht, sich ins Bett zu legen, die Beine vor Müdigkeit wie zerschlagen; aber sie hatte sich sogleich wieder erhoben, und sie stand jetzt da, die Arme auf die Kommode gestützt, und wiegte sich auf der Stelle mit einer ständigen Bewegung der Lenden. Die Wehen folgten jetzt rasch aufeinander, verschmolzen zu einem einzigen Schmerz, dessen Heftigkeit ihr den Atem benahm. Alle Augenblicke ließen ihre tastenden Hände die Kommode los, glitten an ihren Seiten entlang und faßten nach ihrem Gesäß, wie um es zu stützen und das Gewicht zu vermindern, unter dem es zermalmt zu werden drohte. Und Pauline, die hinter ihr stand, konnte nichts tun, mußte zusehen, wie sie litt, den Kopf abwenden und so tun, als beschäftige sie sich, wenn Louise in der beständigen Sorge um ihr schönes blondes Haar und ihr verzerrtes feines Gesicht mit einer verlegenen Gebärde ihren Morgenrock an sich zog.
Es war kurz vor Mitternacht, als ein Geräusch von Rädern zu hören war. Das junge Mädchen ging rasch hinunter.
»Und Véronique?« rief sie von der Freitreppe aus, als sie Lazare und die Hebamme erkannte. »Habt ihr sie denn nicht getroffen?«
Lazare erzählte ihr, daß sie auf der Landstraße von PortenBessin gekommen seien: Unglück über Unglück, Frau Bouland drei Meilen entfernt bei einer Wöchnerin, weder Wagen noch Pferd, sie zu holen, die drei Meilen zu Fuß im Laufschritt zurückgelegt, und dort endloser Ärger! Glücklicherweise hatte Frau Bouland einen Wagen.
»Und die Frau?« fragte Pauline. »War schon alles vorbei, hat Frau Bouland weggehen können?«
Lazares Stimme zitterte, er sagte dumpf:
»Die Frau ist tot.«
Sie traten in die Diele, die von einer Kerze erhellt wurde. Es herrschte Schweigen, während Frau Bouland ihren Mantel aufhängte. Sie war eine brünette, magere kleine Frau, gelb wie eine Zitrone, mit einer großen gebieterischen Nase. Sie sprach laut, hatte ein herrisches Gebaren, um dessentwillen sie von den Bauern verehrt wurde.
»Wenn Sie mir bitte folgen würden, Frau Bouland«, sagte Pauline. »Ich wußte nicht mehr, was ich tun sollte, sie hat seit dem Abend nicht aufgehört zu klagen.«
Im Schlafzimmer trat Louise noch immer vor der Kommode von einem Bein aufs andere. Und sie begann wieder zu weinen, als sie die Hebamme erblickte. Diese stellte ihr einige kurze Fragen über die Zeiten, den Sitz und die Art der Schmerzen. Dann schloß sie kurz angebunden:
»Wir werden sehen ... Ich kann nichts sagen, solange ich nicht die Lage festgestellt habe.«
»Ist es denn schon soweit?« murmelte die junge Frau unter Tränen. »Oh, mein Gott! Mit acht Monaten! Und ich glaubte, ich hätte noch einen Monat Zeit!«
Ohne zu antworten, schüttelte Frau Bouland die Kopfkissen auf und legte sie mitten im Bett übereinander. Lazare, der heraufgekommen war, hatte das unbeholfene Benehmen des Mannes, der mitten in das Drama der Niederkunft hereinplatzt. Immerhin war er näher getreten und hatte einen Kuß auf die schweißnasse Stirn seiner Frau gedrückt, die diese ermutigende Liebkosung nicht einmal wahrzunehmen schien.
»Fangen wir an«, sagte die Hebamme.
Louise sandte Pauline einen verstörten Blick zu, dessen stummes Flehen diese verstand. Sie ging mit Lazare hinaus, beide
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