Die Freude am Leben
die Lust zum Streiten eher vergehen würde als ihr, Pauline, die Lust, sie wieder zu versöhnen. Dieser Gedanke erheiterte sie, sie erzählte ihn lachend Lazare. Was blieb ihr denn zu tun, wenn das Haus allzu glücklich war? Sie würde sich langweilen, man mußte ihr schon einige Wehwehchen zu heilen übriglassen.
»Wo sind denn der Abbé und der Doktor hingegangen?« fragte sie, verwundert, die beiden nicht mehr zu sehen.
»Sie müssen im Garten sein«, erwiderte Chanteau. »Der Abbé wollte dem Doktor unsere Birnen zeigen.«
Pauline wollte gerade von der Ecke der Terrasse Ausschau halten, als sie plötzlich vor dem kleinen Paul stehenblieb.
»Ach, er ist ja aufgewacht!« rief sie. »Sieh nur, wie der schon herumstrolcht!«
Auf der roten Decke hatte sich Paul in der Tat auf seinen kleinen Knien aufgerichtet; und er war losgekrochen und machte sich heimlich auf allen vieren davon. Doch bevor er den Sand erreicht hatte, mußte er wohl an eine Falte der Decke geraten sein, denn er wankte und fiel auf den Rücken; bloßgestrampelt, reckte er Arme und Beine in die Luft. Er zappelte, er bewegte seine rosige Nacktheit auf diesem Rot einer erblühten Pfingstrose.
»Gut! Er zeigt uns alles, was er hat«, begann sie fröhlich wieder. »Wartet, ihr sollt sehen, wie er seit gestern läuft.«
Sie hatte sich neben ihn gekniet und versuchte, ihn auf die Beine zu stellen. Er war so widerwillig gewachsen, daß er für sein Alter sehr zurück war; einen Augenblick lang hatte man sogar gefürchtet, er werde schwach auf den Beinen bleiben. Daher sah die Familie mit Entzücken, wie er seine ersten Schritte tat, mit den Händen ins Leere tappte und beim geringsten Steinchen wieder auf sein Hinterteil fiel.
»Willst du wohl nicht spielen!« wiederholte Pauline. »Nein, das ist ernst, zeig, daß du ein Mann bist ... Da, halt dich fest, geh und gib Papa einen Kuß, und dann gehst du auch zum Großvater und gibst ihm einen Kuß.«
Chanteau, dessen Gesicht von stechenden Schmerzen verzerrt war, wandte den Kopf, um dem Auftritt zuzusehen. Trotz seiner Niedergeschlagenheit wollte Lazare das Spiel gern mitmachen.
»Komm«, sagte er zu dem Kind.
»Oh, du mußt ihm die Arme entgegenstrecken«, erklärte das junge Mädchen. »Er wagt es nicht einfach so, er will wissen, wohin er fällt ... Komm, mein kleiner Engel, nur Mut.«
Es waren drei Schritte zu machen. Da gab es gerührte Ausrufe, überströmende Begeisterung, als Paul sich entschloß, mit den schwankenden Bewegungen eines seiner Füße nicht sicheren Gleichgewichtskünstlers die kurze Strecke zurückzulegen. Er war in die Hände seines Vaters gefallen, der ihn auf das noch spärliche Haar küßte; und er lachte jenes unbestimmte, entzückte Lachen der ganz kleinen Kinder und sperrte dabei einen feuchten und wie eine Rose schimmernden Mund ganz weit auf. Seine Patin wollte ihn jetzt sogar zum Sprechen bringen; aber sprechen konnte er noch weniger als laufen, er stieß kehlige Laute aus, aus denen allein die Eltern die Worte »Papa« und »Mama« heraushörten.
»Das ist nicht alles«, sagte Pauline. »Er hat versprochen, Großvater einen Kuß zu geben ... Na? Diesmal ist es eine richtige Reise.«
Mindestens acht Schritte trennten Lazares Stuhl von Chanteaus Sessel. Niemals hatte Paul sich so weit in die Welt hinausgewagt. Daher war es ein beachtliches Unternehmen. Pauline hatte sich auf den Weg gehockt, um aufzupassen, daß kein Unheil geschähe, und man brauchte zwei lange Minuten, um das Kind anzuspornen. Endlich stürzte er wild drauflos, mit den Ärmchen durch die Luft rudernd. Einen Augenblick glaubte sie schon, sie werde ihn in den Armen auffangen. Doch er stürmte als mutiger Mann vorwärts und landete auf Chanteaus Knien. Bravorufe erschollen.
»Habt ihr gesehen, wie er losgestürzt ist? Oh, dem ist nicht bange, das wird bestimmt einmal ein ganzer Kerl.«
Und von nun an ließ man ihn den Weg wohl zehnmal machen. Er hatte keine Angst mehr, er lief bei der ersten Aufforderung los, ging laut lachend von seinem Großvater zu seinem Vater und wieder zu seinem Großvater zurück und war sehr belustigt über das Spiel, immer nahe daran, hinzupurzeln, als schwankte der Boden unter ihm.
»Noch einmal zu Papa!« rief Pauline.
Lazare begann zu ermüden. Kinder, selbst sein eigenes, langweilten ihn rasch. Als er ihn so fröhlich und nunmehr gerettet vor sich sah, durchfuhr ihn der Gedanke, daß dieses kleine Wesen ihn fortsetzen, ihm sicherlich einmal die Augen schließen
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