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Die Freude am Leben

Die Freude am Leben

Titel: Die Freude am Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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nur mit Überwindung die Sous für eine Rechnung einzeln hervorholte. Das war nun zur Gewohnheit geworden, Frau Chanteau bestritt schließlich das ganze Leben aus dem Schubfach des Sekretärs, denn sie wurde fortgerissen und leistete keinen Widerstand mehr. Doch wenn sie in ihrer Besessenheit immer wieder dorthin zurückkehrte, stieß das Möbelstück, wenn sie die Klappe herunterließ, einen leisen Schrei aus, der sie nervös machte. Was für ein alter Kasten! Wenn man bedachte, daß sie sich niemals einen anständigen Schreibtisch hatte kaufen können! Dieser ehrwürdige Sekretär, der, mit einem Vermögen vollgestopft, dem Hause zuerst ein Ansehen von Fröhlichkeit und Reichtum verliehen hatte, richtete jetzt darin Verheerungen an, war gleichsam die mit allen Plagen vergiftete Büchse der Pandora, ließ das Unheil aus allen Ritzen dringen.
    Eines Abends kam Pauline vom Hof herein und rief:
    »Der Bäcker! ... Wir sind ihm für drei Tage das Geld schuldig, zwei Francs fünfundachtzig.«
    Frau Chanteau wühlte in allen Taschen.
    »Ich muß nach oben gehen«, murmelte sie.
    »Bleib doch«, sagte das junge Mädchen unbesonnen, »ich werde hinaufgehen ... Wo ist dein Geld?«
    »Nein, nein, du würdest es nicht finden ... es liegt irgendwo ...«
    Die Tante stammelte, und beide tauschten den stummen Blick, der sie erbleichen ließ. Ein peinliches Zögern entstand, dann ging Frau Chanteau, ganz kalt vor verhaltener Wut, nach oben und fühlte ganz deutlich, daß ihr Mündel wußte, wo sie die zwei Francs fünfundachtzig hernehmen würde. Warum auch hatte sie ihr so oft das im Schubfach schlummernde Geld gezeigt? Ihre geschwätzige Redlichkeit von früher erbitterte sie jetzt, diese Kleine folgte ihr sicher in Gedanken, sah, wie sie das Schubfach öffnete, durchwühlte und wieder schloß. Als sie wieder heruntergekommen war und den Bäcker bezahlt hatte, brach ihr Zorn gegen das Mädchen los.
    »Na, dein Kleid sieht ja sauber aus! Wo kommst du denn her? Wie? Du hast wohl Wasser für den Gemüsegarten geschöpft? Laß doch bloß Véronique ihre Arbeit tun. Ich wette, du machst dich absichtlich schmutzig, du scheinst nicht zu wissen, wie teuer alles ist ... Dein Kostgeld ist nicht so reichlich, ich komme damit nicht mehr aus ...«
    Und sie redete weiter. Pauline, die zuerst versucht hatte, sich zu verteidigen, hörte jetzt wortlos zu, und ihr war schwer ums Herz. Seit einiger Zeit liebte ihre Tante sie immer weniger, das fühlte sie wohl. Als sie mit Véronique wieder allein war, weinte sie; und das Hausmädchen begann mit den Kochtöpfen herumzuklappern, um nicht Partei ergreifen zu müssen. Véronique schimpfte zwar noch immer auf das junge Mädchen; aber es zeigte sich jetzt in ihrer Rauhbeinigkeit hin und wieder ein Erwachen von Gerechtigkeit.
    Der Winter kam, Lazare verlor den Mut. Wieder einmal war seine Leidenschaft verraucht, die Fabrik widerte ihn an und erfüllte ihn mit Entsetzen. Im November packte ihn die Angst angesichts einer neuerlichen Geldverlegenheit. Er hatte schon andere überwunden, doch bei dieser zitterte er, verzweifelte an allem, erhob Beschuldigungen gegen die Wissenschaft. Sein Gedanke von der Nutzung der Algen sei blödsinnig; mochte man auch die Methoden vervollkommnen, man würde der Natur doch niemals entreißen, was sie nicht hergeben wollte; und er zog vernichtend sogar über seinen Lehrer her, den berühmten Herbelin, der, nachdem er auf einer Reise aus Gefälligkeit einen Umweg gemacht, um die Fabrik zu besichtigen, verlegen vor den Apparaten gestanden hatte, die, wie er sagte, vielleicht zu groß angelegt waren, um ebenso zuverlässig zu arbeiten wie die kleinen Apparate in seinem Studierzimmer. Kurz und gut, der Versuch schien gemacht, die Wahrheit aber war, daß man bei diesen Kältereaktionen noch nicht das Mittel gefunden hatte, die für die Kristallisation der Substanzen notwendigen niedrigen Temperaturen auf dem gewünschten Grad zu halten. Lazare gewann wohl aus den Algen eine gewisse Menge von Kaliumbromid; da es ihm in der Folge jedoch nicht gelang, die vier oder fünf anderen Substanzen genügend zu isolieren, die er zum Abfall werfen mußte, führte der Betrieb zum völligen Zusammenbruch. Er war krank davon, er erklärte sich für besiegt. An dem Abend, da Frau Chanteau und Pauline ihn anflehten, sich zu beruhigen, eine letzte Anstrengung zu unternehmen, gab es einen schmerzlichen Auftritt, verletzende Worte, Tränen, Türen, die mit solcher Helligkeit zugeschlagen wurden, daß

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