Die Freude am Leben
einmal mehr eifersüchtig.
So ging ein ganzes Jahr dahin. Die Fabrik arbeitete jetzt, und vielleicht schützte sie gerade der Verdruß, den diese ihnen bereitete. Nach einer schwierigen Neuaufstellung der Apparate schienen die ersten Ergebnisse ausgezeichnet zu sein; zweifellos war der Gewinn noch bescheiden, aber wenn man die Methode vervollkommnete, wenn man Sorgfalt und Tatkraft verdoppelte, mußte man eine ungeheure Produktion erreichen. Boutigny hatte bereits ausgedehnte, sogar zu ausgedehnte Absatzmöglichkeiten geschaffen. Das Glück schien ihnen gewiß. Und von nun an machte diese Hoffnung sie starrköpfig, sie schlugen die Warnungen vor dem Ruin in den Wind, die Fabrik war wie ein gähnender Schlund, in den sie mit vollen Händen das Geld hineinwarfen, immer in der Überzeugung, daß sie es auf dem Grunde als Goldbarren wiederfinden würden. Jedes neue Opfer machte sie nur noch besessener.
Frau Chanteau entnahm die ersten Male dem Schubfach des Sekretärs keine Summe, ohne Pauline davon in Kenntnis zu setzen.
»Am Sonnabend sind Zahlungen zu leisten, mein Kind, euch fehlen dreitausend Francs ... Kommst du mit hinauf, um ein Wertpapier auszuwählen, das wir verkaufen wollen?«
»Aber du kannst es doch allein auswählen«, erwiderte das junge Mädchen.
»Nein, du weißt, daß ich nichts ohne dich tue. Das ist dein Geld.«
Dann lockerte sich allmählich Frau Chanteaus strenge Rechtlichkeit. Eines Abends gestand ihr Lazare eine Schuld, die er Pauline verheimlicht hatte: fünftausend Francs für Kupferrohre, die man nicht einmal gebraucht hatte. Und da die Mutter gerade mit dem jungen Mädchen an dem Schubfach gewesen war, ging sie noch einmal allein dahin zurück; in Anbetracht der Verzweiflung ihres Sohnes nahm sie die fünftausend Francs heraus, hatte allerdings den festen Vorsatz, sie beim ersten Gewinn wieder zurückzulegen. Doch von diesem Tage an war die Bresche geschlagen, es wurde ihr zur Gewohnheit, sie griff hinein, ohne zu rechnen. Im übrigen fand sie bei ihrem Alter diese ständige Abhängigkeit vom guten Willen eines kleinen Mädchens auf die Dauer unerträglich und wurde deshalb innerlich auf Pauline allmählich böse. Man würde ihr ihr Geld schon wiedergeben; wenn es ihr auch gehörte, war das noch längst kein Grund, daß man sich keinen Schritt mehr gestatten konnte, ohne sie vorher um Erlaubnis zu fragen.
Seitdem sie in den Wertpapieren im Schubfach ein Loch gemacht hatte, verlangte sie nicht mehr, daß Pauline sie begleitete. Pauline empfand das als eine Erleichterung; denn trotz ihres guten Herzens waren ihr die Gänge zum Sekretär peinlich: Ihre Vernunft warnte sie vor einer Katastrophe, die kluge Sparsamkeit ihrer Mutter begehrte auf in ihr. Zunächst wunderte sie sich über Frau Chanteaus Schweigen, sie spürte wohl, daß das Geld dennoch zerrann und daß man sie einfach überging. Dann war es ihr so lieber. Zumindest hatte sie nicht den Verdruß, sehen zu müssen, wie der Haufen Wertpapiere jedesmal kleiner wurde. Es gab nunmehr zwischen ihnen beiden zu gewissen Stunden nur noch einen raschen Austausch von Blicken: den festen und besorgten Blick der Nichte, wenn sie eine neue Entnahme erriet; den flackernden Blick der Tante, die gereizt war, daß sie den Kopf abwenden mußte. Es war gleichsam gärender Haß, der in ihr aufkeimte.
Unglücklicherweise wurde in jenem Jahr über Davoine das Konkursverfahren eröffnet. Dieses Unheil hatte man kommen sehen, nichtsdestoweniger war es ein schrecklicher Schlag für die Chanteaus. Es blieben ihnen nur noch ihre dreitausend Francs Jahreszinsen. Alles, was sie aus dem Zusammenbruch retten konnten, ungefähr zwölftausend Francs, wurde sofort angelegt, und so kamen sie alles in allem auf dreihundert Francs im Monat. Daher mußte Frau Chanteau schon in der zweiten Monatshälfte fünfzig Francs von Paulines Geld nehmen: der Fleischer aus Verchemont wartete mit seiner Rechnung, man konnte ihn nicht fortschicken. Dann waren es hundert Francs für den Kauf eines Waschkessels, ja sogar zehn Francs für Kartoffeln und fünfzig Sous für Fische. Es war so weit mit ihr gekommen, daß sie mit beschämend kleinen Summen von einem Tag zum anderen für Lazare und die Fabrik aufkam; und sie sank noch tiefer, bis zu den Centimes für den Haushalt, bis zu den jämmerlich bezahlten Läpperschulden. Gegen Monatsende vor allem sah man sie unaufhörlich mit verstohlenem Schritt verschwinden und gleich darauf wiederkommen, die Hand in der Tasche, aus der sie
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