Die Freude am Leben
Hausarbeit zu beenden, während Pauline, in Gedanken versunken, bis zum Abend am Horizont das blaue Kleid Louises und Lazares weiße Jacke inmitten der dunklen Flecke der Arbeiter verfolgte.
Als sie schließlich fast genesen war, wurde Chanteau von einem heftigen Gichtanfall gepackt, so daß sich das junge Mädchen entschloß, trotz seiner Schwäche hinunterzugehen. So verließ sie das erste Mal ihr Zimmer, um sich an das Bett eines Kranken zu setzen. Wie Frau Chanteau grollend sagte, war das Haus ein wahres Hospital. Seit einiger Zeit verließ ihr Gatte den Diwan nicht mehr. In der Folge wiederholter Anfalle wurde sein ganzer Körper mitgenommen, das Übel stieg von den Füßen in die Knie, dann in die Ellbogen und die Hände. Der kleine weiße Knoten am Ohr war abgefallen; andere, größere waren zum Vorschein gekommen; und alle Gelenke schwollen an, die Kreide der Gichtknoten drang in weißlichen Spitzen, die wie Krebsaugen aussahen, überall unter der Haut hervor. Es war jetzt die unheilbare chronische Gicht, die Gicht, die die Gelenke steif macht und deformiert.
»Mein Gott! Was muß ich leiden!« wiederholte Chanteau. »Mein linkes Bein ist steif wie Holz; nicht möglich, den Fuß oder das Knie zu bewegen ... Und mein Ellbogen fängt nun auch schon an zu brennen. Sieh ihn dir doch mal an.«
Pauline stellte am linken Ellbogen eine stark entzündete Geschwulst fest. Er klagte vor allem über dieses Gelenk, in dem der Schmerz bald unerträglich wurde. Den Arm ausgestreckt, seufzte er und ließ seine Hand nicht aus den Augen, eine erbarmungswürdige Hand mit von Knoten geschwollenen Fingergliedern, mit einem gekrümmten und wie von einem Hammerschlag zerquetschten Daumen.
»Ich kann so nicht liegenbleiben, du mußt mir helfen ... Ich hatte eine so gute Lage gefunden! Und gleich fängt es wieder an, es ist, als kratzte man mir mit einer Säge auf den Knochen herum ... Versuch doch, mich ein wenig aufzurichten.«
Zwanzigmal in einer Stunde mußte man seine Lage verändern. Eine ständige Angst bewegte ihn, immer hoffte er auf Erleichterung. Aber Pauline fühlte sich noch so wenig gekräftigt, daß sie ihn nicht allein zu bewegen wagte. Sie murmelte:
»Véronique, faß ihn vorsichtig mit an.«
»Nein!« schrie er. »Nicht Véronique! Sie schüttelt mich.«
Da mußte Pauline sich so anstrengen, daß ihre Schultern krachten. Und sie mochte ihn noch so behutsam umwenden, er stieß ein Gebrüll aus, das das Hausmädchen in die Flucht jagte. Véronique schwor, man müsse eine Heilige sein wie Mademoiselle Pauline, um nicht einer solchen Arbeit überdrüssig zu werden; denn der liebe Gott selber wäre auf und davon gelaufen, hätte er Herrn Chanteau brüllen hören.
Die Anfälle wurden indessen weniger heftig; aber sie nahmen kein Ende, sie dauerten Tag und Nacht, steigerten so das Unbehagen und wurden durch die Angst vor der Unbeweglichkeit zu einer namenlosen Qual. Es waren nicht mehr nur die Füße, die ein Tier zernagte; der ganze Körper wurde wie unter einem hartnäckig arbeitenden Mühlstein zerschrotet. Und es gab keinerlei Möglichkeit der Erleichterung; Pauline konnte nur dableiben, seinen Launen ausgesetzt, immer bereit, ihn anders zu betten, ohne daß er dadurch jemals auch nur eine Stunde Ruhe gewann. Das schlimmste war, daß das Leiden ihn ungerecht und grob machte, er sprach wütend mit ihr wie mit einer ungeschickten Dienstmagd.
»Ach, du bist genauso dumm wie Véronique ... Wie kannst du mir bloß deine Finger in den Leib bohren! Hast du denn Gendarmenfinger? Laß mich in Frieden, ich will nicht mehr, daß du mich anrührst!«
Sie jedoch, ohne zu antworten, verdoppelte in einer durch nichts zu erschütternden Ergebung ihre Sanftmut. Fühlte sie, daß er allzu gereizt war, so verbarg sie sich einen Augenblick hinter den Vorhängen, damit er sich beruhigte, wenn er sie nicht mehr sah. Oft weinte sie dort still vor sich hin, nicht über die Grobheiten des armen Mannes, sondern über das entsetzliche Martyrium, das ihn böse machte. Und sie hörte ihn zwischen seinen Klagen halblaut sprechen.
»Sie ist weggegangen, die Herzlose ... Oh, ich kann ruhig verrecken, ich hätte nur Minouche, die mir die Augen zudrücken würde. Bei Gott, es ist doch wohl nicht möglich, daß man einen Christenmenschen so im Stiche läßt ... Ich wette, sie sitzt in der Küche und trinkt Brühe.«
Dann, nachdem er einen Augenblick mit sich gekämpft hatte, brummte er lauter und entschloß sich endlich zu
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