Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Freude am Leben

Die Freude am Leben

Titel: Die Freude am Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
Vom Netzwerk:
So ist es recht, laß ihn nicht mehr los.«
    Sie war dabei lustig, die beiden anderen schubsten sich scherzend; und als sie hinausgingen, wurde sie wieder ernst und beugte sich über den Rand des Bettes, um ihren Schritten und ihrem Lachen zu lauschen, die sich im Treppenhaus verloren.
    Eine Viertelstunde später erschien Véronique mit dem Arzt. Dann ließ sie sich an Paulines Kopfende nieder, ohne dabei ihre Töpfe im Stich zu lassen, kam in jeder freien Minute herauf und verbrachte dort eine Stunde zwischen zwei Soßen. Das geschah nicht auf einmal. Lazare war am Abend zurückgekehrt; aber am nächsten Morgen ging er wieder hinaus; und jeden Tag kürzte er, mitgerissen von dem Leben draußen, seine Besuche ab, blieb nur noch so lange, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen. Im übrigen war es Pauline, die ihn fortschickte, wenn er nur davon sprach, sich hinzusetzen. Wenn er mit Louise heimkam, forderte sie die beiden auf, von ihrem Spaziergang zu berichten, glücklich über ihre Angeregtheit, über die frische Luft, die sie in ihrem Haar mitbrachten. Sie schienen so gute Kameraden, daß Pauline keinen Argwohn mehr gegen die beiden hegte. Und sowie sie Véronique mit der Arznei in der Hand erblickte, rief sie fröhlich:
    »Nun geht schon! Ihr stört mich.«
    Zuweilen rief sie Louise zurück, um ihr Lazare wie ein Kind ans Herz zu legen.
    »Sieh zu, daß er sich nicht langweilt. Er braucht Zerstreuung ... Und macht einen tüchtigen Ausflug, ich will euch heute nicht mehr sehen.«
    Wenn sie allein war, schien sie ihnen mit starren Augen in die Ferne zu folgen. Sie verbrachte die Tage mit Lesen, wartete, daß ihre Kräfte wiederkehrten, war noch so zerschlagen, daß zwei oder drei Stunden im Sessel sie erschöpften. Oft ließ sie das Buch in den Schoß sinken, verträumt schweifte sie ab und folgte in Gedanken ihrem Cousin und ihrer Freundin. Wenn sie am Strand entlanggegangen waren, mußten sie zu den Grotten kommen, wo es sich gut sein ließ auf dem Sande, in der kühlen Stunde der Flut. Und sie glaubte in der Beharrlichkeit dieser Visionen nur das Bedauern darüber zu empfinden, daß sie nicht bei ihnen sein konnte. Ihre Lektüre langweilte sie im übrigen. Die Romane, die im Hause herumlagen, Liebesgeschichten mit dichterisch verbrämtem Verrat, hatten ihre Geradheit, ihr Bedürfnis, sich zu geben und sich nicht wieder zurückzunehmen, schon immer empört. War es möglich, daß man sein Herz belog, daß man eines Tages zu lieben aufhörte, nachdem man geliebt hatte? Sie stieß das Buch von sich. Jetzt sahen ihre gedankenverlorenen Blicke dort drüben, jenseits der Mauern, ihren Cousin, wie er ihre Freundin, deren müden Gang er stützte, nach Hause geleitete, einer an den anderen gelehnt, unter Lachen miteinander flüsternd.
    »Ihre Arznei, Mademoiselle Pauline«, sagte auf einmal Véronique, deren grobe Stimme sie aus ihrer Versunkenheit aufschreckte.
    Am Ende der ersten Woche kam Lazare nicht mehr herein, ohne anzuklopfen. Als er eines Morgens die Tür aufstieß, erblickte er Pauline mit nackten Armen, wie sie sich in ihrem Bett kämmte.
    »Oh, Verzeihung!« murmelte er und prallte zurück.
    »Was denn?« rief sie. »Hast du Angst vor mir?«
    Da entschloß er sich, aber er fürchtete sie in Verlegenheit zu bringen und wandte den Kopf ab, während sie ihr Haar fertig aufsteckte.
    »Ach, gib mir doch eine Unterjacke«, sagte sie ruhig. »Da, im ersten Schubfach ... Es geht mir besser, ich werde putzsüchtig.«
    Er geriet in Verwirrung, fand nur Hemden. Als er ihr schließlich eine Unterjacke zugeworfen hatte, wartete er vor dem Fenster, bis sie sich bis zum Kinn zugeknöpft hatte. Vierzehn Tage zuvor, als er sie dem Tode nahe glaubte, hatte er sie wie ein kleines Mädchen auf seine Arme genommen, ohne zu sehen, daß sie nackt war. Jetzt verletzte ihn sogar die Unordnung im Zimmer. Und auch sie, von seiner Verlegenheit angesteckt, bat ihn bald nicht mehr um die vertrauten Dienste, die er ihr eine Zeitlang erwiesen.
    »Véronique, mach doch die Tür zu!« rief sie eines Morgens, als sie den jungen Mann auf dem Flur gehen hörte. »Versteck das alles, und gib mir dieses Busentuch.«
    Es ging Pauline indessen immer besser. Als sie sich auf den Beinen halten und auf das Fensterbrett stützen konnte, war es ihr großes Vergnügen, den Bau der Buhnen in der Ferne zu verfolgen. Man hörte deutlich die Hammerschläge, man sah den Trupp von sieben oder acht Männern, deren schwarze Flecke sich wie große Ameisen auf den

Weitere Kostenlose Bücher