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Die Freude am Leben

Die Freude am Leben

Titel: Die Freude am Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Kindheit, selbst alte Kleidungsstücke, seine Kommunionskrawatte, seine erste Hose.
    »Da! Hier hast du Haare von ihm«, sagte sie eines Abends. »Du beraubst mich nicht, ich habe welche von allen Altersstufen.«
    Und wenn Louise endlich im Bett lag, konnte sie nicht die Augen schließen unter der Zwangsvorstellung von diesem Jüngling, den seine Mutter ihr so in die Arme trieb. Sie wälzte sich glühend vor Schlaflosigkeit hin und her, sah ihn sich mit seiner weißen Haut von der Finsternis abheben. Oft lauschte sie, ob er nicht im oberen Stockwerk umherging; und die Vorstellung, daß er zweifellos noch bei der im Bett liegenden Pauline wachte, verdoppelte ihr Fieber so sehr, daß sie das Bettuch von sich werfen und mit nacktem Busen einschlafen mußte.
    Oben schritt die Genesung langsam voran. Obgleich die Kranke außer Gefahr war, blieb sie sehr schwach, erschöpft von Fieberanfällen, die den Arzt in Erstaunen setzten. Wie Lazare sagte, waren die Ärzte immer erstaunt. Er selber wurde mit jeder Stunde reizbarer. Die plötzliche Ermattung, die er gleich nach überstandener Krise empfunden, schien zuzunehmen, wandelte sich zu einer Art ruhelosen Unbehagens. Jetzt, da er nicht mehr gegen den Tod kämpfte, litt er unter dem luftlosen Zimmer, unter der Arznei, die er ihr zu festgesetzter Stunde eingeben mußte, unter all den Beschwerlichkeiten der Krankheit, an denen er zuerst so glühenden Anteil genommen hatte. Sie konnte ihn entbehren, und er fiel zurück in die Langeweile seines leeren Daseins, eine Langeweile, bei der er mit lässig herabhängenden Händen dasaß, von einem Stuhl auf den anderen wechselte, mit verzweifelten Blicken auf die vier Wände umherlief, selbstvergessen vor dem Fenster verweilte, ohne etwas zu sehen. Sowie er ein Buch aufschlug, um neben ihr zu lesen, unterdrückte er zwischen den Seiten ein Gähnen.
    »Lazare«, sagte Pauline eines Tages, »du solltest an die Luft gehen. Wenn Véronique da ist, genügt es.«
    Er weigerte sich heftig. Konnte sie ihn denn nicht mehr ertragen, daß sie ihn fortschickte? Das wäre vielleicht freundlich, sie so zu verlassen, bevor man sie wieder völlig auf die Beine gebracht hätte! Er beruhigte sich schließlich, während sie sanft erklärte:
    »Du würdest mich doch nicht verlassen, wenn du nur ein wenig Luft schöpftest ... Geh am Nachmittag aus. Was hätten wir davon, wenn du auch noch krank würdest!«
    Doch sie hatte die Ungeschicklichkeit, hinzuzufügen:
    »Ich sehe doch, daß du den ganzen Tag gähnst.«
    »Ich sollte gähnen!« rief er. »Sag nur gleich, daß ich kein Herz habe ... Wahrhaftig! Du belohnst mich hübsch!«
    Am nächsten Morgen war Pauline geschickter. Sie tat, als habe sie den lebhaften Wunsch, den Bau der Schutzbuhnen und Palisaden fortschreiten zu sehen: Die winterlichen Hochfluten würden kommen, die Versuchsbalken würden fortgespült werden, wenn man das Schutzsystem nicht vervollständigte. Aber Lazares anfängliche Begeisterung hatte sich schon gelegt; er zeigte sich unzufrieden mit der Anordnung, auf die er rechnete, neue Studien waren notwendig; am Ende werde man den Kostenanschlag überschreiten, und der Generalrat hatte noch nicht einen Sou bewilligt. So mußte sie zwei Tage lang seinen Erfinderstolz wieder wecken: Wollte er es zulassen, vor dem ganzen Dorf, das schon jetzt lachte, vom Meer geschlagen zu werden? Was das Geld betraf, so würde es ihm sicher zurückerstattet werden, wenn sie es, wie vereinbart, vorstreckte. Nach und nach schien Lazare sich wieder zu begeistern. Er erneuerte seine Pläne, er bestellte den Zimmermann von Arromanches, mit dem er Unterredungen in seinem Zimmer hatte, dessen Tür er offenließ, um auf den ersten Ruf herbeizueilen.
    »Jetzt«, erklärte er, als er sie eines Morgens küßte, »wird uns das Meer auch nicht mehr ein Streichholz zerbrechen, ich bin meiner Sache sicher ... Sobald du wieder gehen kannst, sehen wir uns den Zustand der Bollwerke an.«
    Louise war heraufgekommen, um sich nach Paulines Befinden zu erkundigen, und als auch sie die Genesende küßte, flüsterte diese ihr ins Ohr:
    »Nimm ihn mit.«
    Lazare weigerte sich zunächst. Er erwartete den Doktor. Aber Louise lachte, wiederholte ihm, daß er zu höflich sei, um sie allein zu den Gonins gehen zu lassen, wo sie selber die Langusten aussuchte, die sie nach Caen schickte. Er könne im Vorübergehen einen Blick auf die Buhnen werfen.
    »Geh, du würdest mir Freude machen«, sagte Pauline. »Nimm doch seinen Arm, Louise ...

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