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Die Freude am Leben

Die Freude am Leben

Titel: Die Freude am Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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frischer Luft, durch eine seltsame körperliche Erregung, als gehorchte er der gebieterischen Notwendigkeit, sich am Schmerz zu rächen. Louises Gegenwart reizte sein Fieber noch mehr; sie konnte nicht mit ihm sprechen, ohne sich auf seine Schulter zu stützen, sie hauchte ihm ihr hübsches Lachen ins Gesicht; und ihre katzenhafte Anmut, ihr Duft eines gefallsüchtigen Weibes, diese ganze freundschaftliche und verwirrende Ungezwungenheit berauschte ihn vollends. Er empfand schließlich ein krankhaftes, von Skrupeln bekämpftes Verlangen. Mit einer Freundin aus der Kindheit im Hause seiner Mutter war das unmöglich, der Gedanke der Schicklichkeit lähmte ihm plötzlich die Arme, wenn er sie spielend packte und ein jähes Feuer ihm das Blut unter die Haut trieb. In diesem Widerstreit war es niemals das Bild Paulines, das ihn zurückhielt: Sie hätte nichts davon erfahren, ein Ehemann betrügt seine Frau ja auch mit einem Dienstmädchen. Des Nachts ersann er Geschichten, man habe Véronique, die unerträglich geworden, fortgeschickt, Louise sei nur noch ein kleines Hausmädchen, zu dem er sich barfuß hinschlich. Wie schlecht sich das Leben doch anließ! Daher auch übertrieb er vom Morgen bis zum Abend seinen Pessimismus in bezug auf die Frauen und die Liebe in grimmigen Spottreden. Alles Übel komme von den dummen, leichtfertigen Weibern, die den Schmerz durch das Begehren verewigten, und die Liebe sei nur Schwindel, das selbstsüchtige Drängen der zukünftigen Generationen, die leben wollten. Der ganze Schopenhauer verbarg sich dahinter, mit Roheiten, an denen sich das errötende junge Mädchen sehr erheiterte. Und nach und nach liebte er sie immer mehr, eine wahre Leidenschaft entwickelte sich aus dieser wütenden Verachtung, er stürzte sich in diese neue Zuneigung mit dem üblichen Feuer seiner anfänglichen Begeisterung, stets auf der Suche nach einem Glück, das sich nie erfüllte.
    Bei Louise war es lange Zeit nichts als ein natürliches Spiel der Koketterie gewesen. Sie schwärmte für kleine Aufmerksamkeiten, für geflüsterte Schmeicheleien, für die leichte Berührung durch liebenswürdige Männer und fühlte sich sogleich fremd und traurig, wenn man sich nicht mehr mit ihr beschäftigte. Ihre jungfräulichen Sinne schlummerten, es blieb bei ihr nur beim Geplapper, bei den erlaubten Vertraulichkeiten eines galanten Hofierens in jedem Augenblick. Wenn Lazare sie einen Moment vernachlässigte, um einen Brief zu schreiben oder um sich in eine seiner plötzlichen, ohne offensichtlichen Grund auftretenden Schwermutsanwandlungen zu versenken, wurde sie so unglücklich, daß sie ihn zu necken, herauszufordern begann und noch die Gefahr dem Vergessenwerden vorzog. Später indessen hatte Angst sie gepackt, als eines Tages der Atem des jungen Mannes wie eine Flamme über ihren zarten Nacken fuhr. Sie war durch ihre langen Pensionatsjahre genugsam unterrichtet, um wohl zu wissen, was ihr drohte; und seit diesem Augenblick hatte sie in der köstlichen und zugleich bangen Erwartung eines möglichen Unglücks gelebt. Nicht, daß sie es im geringsten wünschte oder auch nur ernsthaft darüber nachdachte, denn sie rechnete durchaus damit, ihm zu entrinnen, ohne jedoch aufzuhören, sich ihm auszusetzen, so sehr bestand ihr Frauenglück aus diesem prickelnden Kampf, aus ihrer Hingabe und ihrer Weigerung.
    Oben in dem großen Zimmer fühlten Lazare und Louise sich noch mehr zueinander gehörig. Die Familie, die das begünstigte, schien beide ins Verderben stürzen zu wollen, ihn, der untätig und vor Einsamkeit krank, sie, die durch die vertraulichen Einzelheiten, durch die leidenschaftlichen Auskünfte Frau Chanteaus über ihren Sohn verwirrt worden war. Sie flüchteten sich dorthin unter dem Vorwand, die Schreie des Vaters, der sich unten mit seiner Gicht vor Schmerzen krümmte, weniger laut zu vernehmen; und sie lebten dort, ohne ein Buch anzurühren, ohne das Klavier zu öffnen, einzig mit sich selbst beschäftigt und damit, sich mit endlosen Plaudereien zu betäuben.
    An dem Tage, da Chanteaus Anfall seinen Höhepunkt erreicht hatte, bebte das ganze Haus von seinen Schreien. Es waren langgezogene, abgerissene Klagelaute, ähnlich dem Gebrüll eines Tieres, das man abschlachtet. Nach dem in nervöser Erregung rasch hinuntergeschlungenen Mittagessen flüchtete Frau Chanteau mit den Worten:
    »Ich kann nicht, ich würde auch zu brüllen anfangen. Wenn man nach mir fragt, ich bin in meinem Zimmer und schreibe ... Und du,

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