Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Freude am Leben

Die Freude am Leben

Titel: Die Freude am Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
Vom Netzwerk:
Lazare, nimm schnell Louise mit in dein Zimmer. Schließt euch gut ein, versuche, sie aufzuheitern, denn sie hat wahrlich kein Vergnügen hier, die arme Louisette!«
    Man hörte, wie sie im oberen Stockwerk ihre Tür heftig schloß, während ihr Sohn und das junge Mädchen noch höher stiegen.
    Pauline war wieder zu ihrem Onkel zurückgekehrt. Sie allein blieb ruhig in ihrem Mitleid für so viel Schmerz. Wenn sie auch nichts anderes tun konnte, als nur eben dazubleiben, so wollte sie wenigstens dem Unglücklichen den Trost geben, nicht einsam zu leiden, da sie fühlte, daß er dem Übel tapferer begegnete, wenn sie ihn ansah, selbst ohne das Wort an ihn zu richten. Stundenlang setzte sie sich so an das Bett, und es gelang ihr, ihn mit ihren großen mitleidsvollen Augen ein wenig zu beruhigen. Doch an jenem Tag sah er sie nicht einmal, hatte den Kopf über das Kopfpolster zurückgeworfen, den Arm ausgestreckt, der am Ellbogen vom Schmerz zerfressen wurde, und schrie noch lauter, sobald sie sich näherte.
    Gegen vier Uhr suchte Pauline in ihrer Verzweiflung Véronique in der Küche auf, wobei sie die Tür offenließ. Sie gedachte sogleich zurückzukehren.
    »Man müßte doch etwas tun«, murmelte sie. »Ich habe Lust, Kaltwasserumschläge zu versuchen. Der Doktor sagt, das sei gefährlich, habe aber manchmal Erfolg ... Ich brauche dazu Leinen.«
    Véronique war scheußlicher Laune.
    »Leinen! Ich bin gerade wegen Wischtüchern nach oben gegangen, und man hat mich schön empfangen ... Man darf sie nicht stören, wie es scheint. Das ist eine Schweinerei!«
    »Wenn du Lazare fragtest?« begann Pauline wieder, ohne noch zu begreifen.
    Aber von Empörung fortgerissen, hatte Véronique die Fäuste in die Hüften gestemmt, und der Satz war heraus, bevor sie ihn noch recht überlegt hatte.
    »Ach ja, die da oben sind viel zu sehr damit beschäftigt, sich das Gesicht abzulecken!«
    »Wie?« stammelte das junge Mädchen, sehr blaß geworden.
    Véronique, die über den Ton ihrer Stimme selber erstaunt war und diese vertrauliche Mitteilung, die sie schon so lange zurückhielt, ungeschehen machen wollte, suchte nach einer Erklärung, einer Lüge, ohne etwas Vernünftiges zu finden. Sie hatte vorsichtshalber Paulines Handgelenke ergriffen; doch diese riß sich jäh mit einem Ruck los und stürzte wie eine Wahnsinnige ins Treppenhaus, so gewürgt, so verzerrt vor Zorn, daß das Hausmädchen ihr nicht zu folgen wagte, zitternd vor diesem weißen, maskenhaften Gesicht, das sie nicht wiedererkannte. Das Haus schien zu schlafen, Schweigen senkte sich von den oberen Stockwerken herab, allein Chanteaus Geschrei stieg inmitten der Totenstille empor. Mit einem Schwung erreichte das junge Mädchen das erste Stockwerk, als sie mit ihrer Tante zusammenstieß. Diese stand dort und versperrte den Treppenabsatz wie eine Schildwache, vielleicht lag sie schon seit langem auf der Lauer.
    »Wo gehst du hin?« fragte sie.
    Pauline, außer Atem und wütend über dieses Hindernis, vermochte nicht zu antworten.
    »Laß mich«, stotterte sie schließlich.
    Und sie machte eine schreckliche Bewegung, die Frau Chanteau zurückweichen ließ. Mit erneutem Schwung stürmte sie dann in den zweiten Stock hinauf, während ihre Tante wie versteinert, ohne einen Schrei die Arme hob. Das war einer jener Anfälle wilder Empörung, deren Sturm aus der heiteren Sanftmut ihres Wesens hervorbrach und an deren Ende sie schon in ihrer Kindheit wie tot gewesen war. Seit Jahren glaubte sie sich geheilt. Doch der Atem der Eifersucht hatte sie wieder so heftig gepackt, daß sie nicht hätte innehalten können, ohne sich selbst zu zerbrechen.
    Als Pauline oben vor Lazares Tür angekommen war, warf sie sich mit einem Satz dagegen. Der Schlüssel wurde verbogen, der Türflügel schlug an die Wand. Und was sie sah, brachte sie vollends außer sich. Lazare, der Louise, an den Schrank gedrängt, festhielt, verschlang ihr Kinn und ihren Hals mit Küssen, während diese, schwach werdend, von der Angst vor dem Manne ergriffen, es geschehen ließ. Zweifellos hatten sie gespielt, und das Spiel nahm ein schlechtes Ende.
    Es folgte ein Augenblick der Erstarrung. Alle drei sahen sich an. Schließlich schrie Pauline:
    »Ah, du Miststück! Du falsche Schlange!«
    Der Verrat des Weibes vor allem brachte sie außer sich. Mit einer verächtlichen Gebärde hatte sie Lazare beiseite geschoben wie ein Kind, dessen Schwäche sie kannte. Aber dieses Weib, das sie duzte, dieses Weib, das ihr den Gatten

Weitere Kostenlose Bücher