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Die Freude am Leben

Die Freude am Leben

Titel: Die Freude am Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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nur in ihrem Glück, alles zu verschenken.
    Man war fertig. Véronique deckte den Tisch ab. Die beiden Tiere gingen, als sie den Tisch leer sahen, von dannen, ohne sich zu bedanken, und leckten sich noch ein letztes Mal die Schnauze.
    Pauline war aufgestanden und ans Fenster gegangen, wo sie noch etwas zu sehen versuchte. Seit der Suppe hatte sie beobachtet, wie dieses Fenster immer dunkler und allmählich tintenschwarz wurde. Jetzt war es eine undurchdringliche Wand, eine finstere Masse, in der alles untergegangen war, der Himmel, das Wasser, das Dorf, sogar die Kirche. Ohne über die Scherze ihres Cousins zu erschrecken, suchte sie das Meer, wurde sie von dem Verlangen gequält, zu erfahren, bis wohin dieses Wasser steigen würde; und sie hörte nur, wie das Tosen zunahm, eine ungeheuerliche, laute Stimme, deren ständige Drohung beim Heulen des Windes und beim Peitschen der Regengüsse in jeder Minute anschwoll. Kein Schimmer mehr, nicht einmal die Blässe der Gischt über dem Chaos von Schatten; nichts als der vom Sturm gepeitschte Galopp der Wogen in der Tiefe dieses Nichts.
    »Verflixt!« sagte Chanteau. »Die Flut kommt rasend schnell ... Und zwei Stunden lang wird sie noch steigen!«
    »Wenn der Wind von Norden wehte«, erklärte Lazare, »wäre es um Bonneville geschehen, glaube ich. Glücklicherweise packt er uns von der Seite.«
    Das kleine Mädchen hatte sich umgewandt und hörte ihnen zu, die großen Augen voll unruhigen Mitleids.
    »Ach was!« meinte Frau Chanteau. »Wir sind in Sicherheit, laß die anderen doch sehen, wie sie zurechtkommen, jeder hat seine eigenen Sorgen ... Sag, mein Herzchen, möchtest du eine Tasse schönen heißen Tee? Und dann gehen wir zu Bett.«
    Véronique hatte über den abgedeckten Tisch eine alte, rote, großgeblümte Decke gebreitet, an der die Familie die Abende verbrachte. Jeder nahm seinen Platz wieder ein. Lazare war für einen Augenblick hinausgegangen und mit einem Tintenfaß, einer Feder und einer ganzen Handvoll Papier zurückgekommen; er ließ sich unter der Lampe nieder und begann Noten abzuschreiben. Frau Chanteau, die seit ihrer Rückkehr ihre zärtlichen Blicke nicht von ihrem Sohn gewandt hatte, wurde plötzlich sehr ärgerlich.
    »Schon wieder deine Musik! Kannst du uns denn nicht einen Abend schenken, nicht einmal an dem Tage, an dem ich von der Reise zurückkomme?«
    »Aber Mama, ich gehe ja nicht fort, ich bleibe bei dir ... Du weißt doch, daß mich das nicht hindert zu plaudern. Nun, sag mir doch etwas, ich werde dir schon antworten.«
    Und er blieb bei seiner Beschäftigung und bedeckte mit seinen Papieren den halben Tisch. Chanteau hatte sich wohlig in seinem Sessel ausgestreckt, die Hände müßig im Schoß. Mathieu schlief vor dem Kamin ein, während Minouche, die mit einem Satz wieder auf die Tischdecke gesprungen war, große Toilette machte, einen Schenkel hoch in die Luft reckte und sich bedächtig das Bauchfell leckte. Eine freundliche Traulichkeit schien sich von der Messinghängelampe herniederzusenken, und bald konnte Pauline, die mit halbgeschlossenen Augen ihrer neuen Familie zulächelte, dem Schlaf nicht widerstehen, so zerschlagen war sie vor Müdigkeit, so benommen durch die Wärme. Ihr Kopf glitt herab, sie schlummerte in der Beuge ihres gekrümmten Armes mitten in der ruhigen Helligkeit der Lampe ein. Ihre feinen Lider waren gleichsam ein über ihren Blick gezogener seidener Schleier, ein regelmäßiger leichter Hauch kam über ihre reinen Lippen.
    »Sie muß sich ja nicht mehr aufrecht halten können«, sagte Frau Chanteau, die Stimme senkend. »Wir werden sie wecken, damit sie ihren Tee trinkt, und dann bringen wir sie zu Bett.«
    Jetzt herrschte Schweigen. Im Grollen des Sturms war nur Lazares Feder zu hören. Es war ein tiefer Friede, die Schläfrigkeit der alten Gewohnheiten, das jeden Abend am selben Platze wiedergekäute Leben. Lange schauten Vater und Mutter einander an, ohne etwas zu sagen. Schließlich fragte Chanteau zögernd:
    »Wird Davoine in Caen einen guten Abschluß haben?«
    Sie zuckte wütend die Achseln.
    »Ach ja! Einen guten Abschluß! Wo ich dir doch gesagt habe, daß du dich reinlegen ließest!«
    Jetzt, da die Kleine schlummerte, konnte man sich unterhalten. Sie sprachen leise, sie wollten einander zunächst nur kurz die Neuigkeiten mitteilen. Doch die Leidenschaft riß sie fort, und nach und nach wurde aller Verdruß der Familie ausgebreitet.
    Chanteau hatte beim Tode seines Vaters, des einstigen

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