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Die Freude am Leben

Die Freude am Leben

Titel: Die Freude am Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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standen überall auf den Treppenstufen und den Möbeln herum, während ein Geruch von Phenol bis in die entlegensten Räume gedrungen war. Alle waren sie völlig erschöpft durch den Schmerz, mit trockenem Mund und trüben Augen; und sie hatten nur noch das dumpfe Bedürfnis, wieder vom Leben Besitz zu ergreifen.
    Am nächsten Tage endlich, um zehn Uhr, begann die Glocke der kleinen Kirche auf der anderen Seite der Landstraße zu läuten. Mit Rücksicht auf Abbé Horteur, der sich bei dieser traurigen Gelegenheit als recht mannhaft erwiesen, hatte man beschlossen, die kirchliche Feier vor der Überführung des Leichnams nach dem Friedhof von Caen in Bonneville abhalten zu lassen. Sobald Chanteau die Glocke hörte, wurde er unruhig in seinem Sessel.
    »Ich will sie wenigstens davongehen sehen«, wiederholte er. »Ach! Diese verflixten Beine! Was für ein Jammer, wenn man so verflixte Beine hat!«
    Vergebens versuchte man, ihm das schreckliche Schauspiel zu ersparen. Die Glocke läutete schneller, er wurde ärgerlich und rief:
    »Rollt mich in den Flur. Ich höre sehr wohl, daß man sie herunterbringt ... Gleich, gleich. Ich will sehen, wenn sie davongeht.«
    Und Pauline und Lazare, in Trauerkleidung und schon mit Handschuhen, gehorchten ihm. Einer rechts, der andere links, schoben sie den Sessel bis an den Fuß der Treppe. In der Tat brachten im gleichen Augenblick vier Männer den Leichnam herunter, dessen Gewicht ihnen schier die Glieder zerbrach. Als der Sarg erschien, mit seinem neuen Holz, seinen glänzenden Griffen, seinem frisch gravierten Kupferschild, machte Chanteau eine unwillkürliche Anstrengung, sich zu erheben; doch seine bleiernen Beine nagelten ihn fest, er mußte in seinem Sessel sitzen bleiben, von einem solchen Zittern befallen, daß seine Kinnladen ein Geräusch machten, als spräche er zu sich selbst. Die schmale Treppe erschwerte den Abstieg, er schaute zu, wie der große gelbe Kasten langsam herabkam; und als er seine Füße streifte, beugte er sich vor, um zu sehen, was man auf das Schild geschrieben hatte. Jetzt war der Flur breiter, die Männer gingen rasch auf die Tragbahre zu, die sie vor der Freitreppe niedergestellt hatten. Er schaute noch immer zu, sah vierzig Jahre seines Lebens dahingehen, die Ereignisse von einst, die guten wie die schlechten, denen er verzweifelt nachtrauerte, wie man seiner Jugend nachtrauert. Hinter dem Sessel weinten Pauline und Lazare.
    »Nein, nein, laßt mich«, sagte er zu ihnen, als sie sich anschickten, ihn wieder an seinen Platz im Eßzimmer zu rollen. »Geht nur. Ich will sehen.«
    Man hatte den Sarg auf die Tragbahre gestellt, andere Männer hoben ihn auf. Der Trauerzug ordnete sich auf dem Hof, auf dem sich die Leute aus dem Dorf eingefunden hatten. Mathieu, der seit dem Morgen eingesperrt war, winselte mitten in dem tiefen Schweigen unter der Tür des Wagenschuppens, während Minouche vom Küchenfenster aus mit erstaunter Miene all diese Leute und diesen Kasten betrachtete, den man davontrug. Da man nicht schnell genug aufbrach, leckte sich die Katze gelangweilt den Bauch.
    »Gehst du denn nicht mit?« fragte Chanteau Véronique, als er sie neben sich bemerkte.
    »Nein, Herr Chanteau«, erwiderte sie mit erstickter Stimme. »Mademoiselle Pauline hat gesagt, ich soll bei Ihnen bleiben.«
    Die Kirchenglocke läutete noch immer, der Leichnam verließ endlich den Hof, gefolgt von Lazare und Pauline, beide schwarz gekleidet in der hellen Sonne. Und von seinem Krankenstuhl aus, im Rahmen der offengelassenen Flurtür, sah Chanteau ihn davongehen.
     

Kapitel VII
    Das Hin und Her mit der Trauerfeier und einigen zu erledigenden Angelegenheiten hielten Lazare und Pauline zwei Tage in Caen zurück. Als sie nach einem letzten Besuch auf dem Friedhof heimkehrten, hatte sich das Wetter geändert, ein böiger Wind blies über die Küsten. Sie fuhren bei strömendem Regen von Arromanches los, der Wind wehte so heftig, daß das Verdeck des Wagens fortgerissen zu werden drohte. Pauline erinnerte sich ihrer ersten Reise, als Frau Chanteau sie von Paris hierhergebracht hatte: Das war bei einem ebensolchen Sturm gewesen, die arme Tante hatte ihr verboten, sich aus dem Wagen zu beugen, und hatte ihr alle Augenblicke das Halstuch wieder festgebunden. Auch Lazare sann in seiner Ecke vor sich hin, sah seine Mutter auf dieser Landstraße wieder, wie sie jedesmal, wenn er heimkehrte, ungeduldig darauf wartete, ihn zu umarmen: Einmal im Dezember war sie zwei Meilen zu Fuß

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