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Die Freude am Leben

Die Freude am Leben

Titel: Die Freude am Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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gegangen, hatte er sie auf diesem Grenzstein sitzend gefunden. Der Regen fiel ohne Unterlaß, das junge Mädchen und ihr Cousin wechselten von Arromanches bis Bonneville nicht ein Wort.
    Indessen hörte der Regen auf, als man ankam; aber der Wind nahm an Heftigkeit zu, der Kutscher mußte absteigen, um das Pferd am Zügel zu nehmen. Endlich hielt der Wagen vor der Tür, gerade als der Fischer Houtelard vorbeilief.
    »Ah, Herr Lazare!« rief er. »Diesmal ist alles hin! Es zerschlägt Ihnen Ihre Wellenbrecher.«
    Man konnte von dieser Biegung der Straße aus das Meer nicht sehen. Der junge Mann blickte auf und gewahrte Véronique, die auf der Terrasse stand und zum Strand hinuntersah. Auf der anderen Seile hatte Abbé Horteur aus Furcht, der Wind werde seine Soutane zerfetzen, an seiner Gartenmauer Schutz gesucht und schaute ebenfalls dorthin. Er beugte sich vor und schrie:
    »Es reißt Ihre Buhnen weg!«
    Da ging Lazare den Abhang hinunter, und Pauline folgte ihm trotz des schrecklichen Wetters. Als sie unterhalb der Felsenküste herauskamen, waren sie betroffen von dem Schauspiel, das sich ihnen bot. Die Flut, eine der Septemberhochfluten, stieg mit ungeheurem Getöse; sie war nicht als gefährlich angekündigt worden, aber der Sturm, der seit dem Abend zuvor von Norden blies, ließ sie so übermäßig anschwellen, daß Wasserberge sich vom Horizont erhoben, sich heranwälzten und an den Felsen zerschellten. In der Ferne war die See schwarz unter dem Schatten der Wolken, die über den bleiernen Himmel fegten.
    »Geh wieder hinauf«, sagte der junge Mann zu seiner Cousine. »Ich schaue einmal nach und komme gleich zurück.«
    Sie antwortete nicht, sie folgte ihm weiter bis an den Strand. Dort hielten die Buhnen und ein großes Pfahlwerk, das man erst kürzlich gebaut hatte, einem fürchterlichen Angriff stand. Die immer gewaltiger werdenden Wogen schlugen eine nach der anderen wie Sturmböcke an; und ihr Heer war unzählbar, immer wieder warfen sich neue Massen dagegen. Große grünliche Rücken mit Schaummähnen wogten unendlich dahin, näherten sich unter einem gewaltigen Druck; dann flogen in der Wut des Anpralls diese Ungeheuer selber als Wasserstaub auseinander, fielen in weißem Gischt hernieder, den die Flut aufzusaugen und wieder fortzutragen schien. Unter jedem dieser Einstürze krachte das Balkenwerk der Buhnen. Einer waren bereits die Rammpfähle zerschlagen worden, und der lange Mittelbalken, nur noch an einem Ende fest, wankte verzweifelt, wie ein Rumpf, dem die Kartätsche die Glieder weggerissen hat. Zwei andere hielten besser stand; aber man fühlte, wie sie in ihren Verankerungen erzitterten, wie sie ermüdeten und gleichsam dünner wurden in dieser schwankenden Umschlingung, die sie aufzureiben schien, um sie dann zu zerbrechen.
    »Ich hab es ja gesagt«, wiederholte Prouane, der stark betrunken am durchlöcherten Rumpf eines alten Bootes lehnte. »Das mußte man erst sehen, wenn der Wind von oben bläst ... Das Meer pfeift auf die Streichhölzer von diesem jungen Mann!«
    Mit Hohngelächter wurden diese Worte aufgenommen. Ganz Bonneville war da, Männer, Frauen, Kinder, sehr belustigt von den ungeheuren Schlägen, die die Buhnen abbekamen. Mochte das Meer ihre verfallenen Behausungen zerschmettern, sie liebten es mit angstvoller Bewunderung, sie hätten es als ihren eigenen Schimpf empfunden, wenn das erstbeste Jüngelchen es mit vier Balken und zwei Dutzend Pflöcken bezwungen hätte. Und das erregte sie, schwellte sie wie mit persönlichem Triumph, mit anzusehen, wie es endlich erwachte und sich mit einem Aufreißen des Rachens vom Maulkorb befreite.
    »Aufgepaßt!« schrie Houtelard. »Seht doch nur, was für ein Schlag ... Na? Es hat einer Buhne zwei Pfoten weggerissen!«
    Sie riefen einander zu. Cuche zählte die Wogen.
    »Drei müssen es sein, ihr werdet sehen ... Eine macht sie locker, die zweite fegt sie weg! Ach, das Luder! Zwei haben ihm gereicht! So ein Luder!«
    Und dieses Wort war eine Liebkosung. Zärtliche Flüche wurden laut. Das Kindervolk tanzte, wenn eine noch schlimmere Sturzsee niederging und einer Buhne mit einem Mal das Kreuz brach. Noch eine! Noch eine! Alle würden dabei draufgehen, würden zerkrachen wie Strandflöhe unter dem Schuh eines Kindes. Aber die Flut stieg noch immer, und das große Pfahlwerk hielt stand. Das war das erwartete Schauspiel, die entscheidende Schlacht. Endlich stürzten sich die ersten Wogen in das Gebälk, man würde was zu lachen haben.
    »Schade,

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