Die Freude am Leben
daß er nicht da ist, der junge Mann!« sagte die spöttische Stimme des Gauners Tourmal. »Er könnte sich dagegenlehnen, um es zu stützen.«
Ein Pfiff brachte ihn zum Schweigen, einige Fischer hatten Lazare und Pauline bemerkt. Diese hatten alles gehört, sie waren sehr bleich geworden und schauten dem Zusammenbruch weiter schweigend zu. Diese zerbrochenen Balken, das war nicht schlimm; aber die Flut sollte noch zwei Stunden lang steigen, das Dorf würde sicherlich in Mitleidenschaft gezogen, wenn das Pfahlwerk nicht standhielt. Lazare hatte seine Cousine an sich gezogen und hielt sie um die Taille gefaßt, um sie gegen die Böen zu schützen, deren Stöße wie Sensenhiebe vorbeisausten. Ein unheilverkündender Schatten senkte sich vom schwarzen Himmel, die Wogen heulten, die beiden in ihrer Trauerkleidung standen unbeweglich im fliegenden Wasserstaub, in dem Getöse, das immer lauter anschwoll. Die Fischer um sie her warteten jetzt, den Mund von einem letzten Hohngelächter verzerrt, heimlich von wachsender Unruhe gequält.
»Das wird nicht lange dauern«, murmelte Houtelard.
Das Pfahlwerk hielt jedoch stand. Bei jeder Woge, die es mit Schaum bedeckte, kamen die schwarz geteerten Balken wieder unter dem weißen Wasser zum Vorschein. Sowie aber ein Stück Holz zerbrochen war, begannen die benachbarten eines nach dem anderen fortzuschwimmen. Seit fünfzig Jahren hatten die Alten keine so starke See erlebt. Bald würde man zurückweichen müssen, die losgerissenen Balken schlugen gegen die anderen, zerstörten das Pfahlwerk vollends, dessen Trümmer heftig an Land geschleudert wurden. Nur ein einziger Pfeiler blieb aufrecht stehen, gleich einer jener Baken, die man auf die Klippen pflanzt. Bonneville hörte auf zu lachen, Frauen trugen weinende Kinder fort. Das Luder griff wieder nach ihnen, es war eine ergebene Bestürzung, der erwartete und erlittene Untergang in dieser so engen Nachbarschaft mit dem gewaltigen Meer, das sie ernährte und sie tötete. Es entstand ein wildes Durcheinander, ein Galopp derber Schuhe: Alle flüchteten sich hinter die Mauern aus Strandgeröll, deren Reihe allein noch die Häuser schützte. Pfähle gaben schon nach, die Bohlen wurden eingedrückt, die ungeheuren Wogen schlugen über die zu niedrigen Mauern. Nichts hielt mehr stand, eine Sturzsee zerbrach bei Houtelard die Fensterscheiben und überschwemmte seine Küche. Da entstand eine wilde Flucht, es blieb nur das siegreiche Meer, das den Strand leer fegte.
»Geh nicht hinein!« schrie man Houtelard zu. »Das Dach wird gleich einstürzen.«
Langsam waren Lazare und Pauline vor der Flut zurückgewichen. Keine Hilfe war möglich, sie gingen wieder den Weg hinauf nach Hause, als das junge Mädchen auf halber Höhe einen letzten Blick auf das bedrohte Dorf warf.
»Die armen Leute!« murmelte sie.
Doch Lazare verzieh ihnen ihr blödes Gelächter nicht. Ins Herz getroffen durch diesen Zusammenbruch, der für ihn eine Niederlage war, machte er eine Gebärde des Zorns und tat endlich den Mund auf.
»Soll das Meer doch in ihren Betten schlafen, wenn sie es nun einmal lieben! Ich werde es, zum Teufel, nicht daran hindern!«
Véronique kam ihnen mit einem Schirm entgegen, denn die Regengüsse begannen von neuem. Abbé Horteur, der noch immer im Schutze seiner Mauer stand, schrie ihnen Sätze zu, die sie nicht verstehen konnten. Dieses abscheuliche Wetter, die zerstörten Buhnen, das Elend dieses Dorfes, das sie in Gefahr zurückließen, machten ihre Heimkehr noch trauriger. Als sie wieder ins Haus traten, schien es ihnen kahl und eisig; nur der Wind blies mit ununterbrochenem Geheul durch seine düsteren Räume. Chanteau, der vor dem Koksfeuer eingenickt war, begann zu weinen, sowie sie erschienen. Keiner von beiden ging hinauf, sich umzukleiden, um die schrecklichen Erinnerungen an die Treppe zu meiden. Der Tisch war gedeckt, die Lampe angezündet, man speiste sogleich. Es war ein trauriger Abend, die heftigen Stöße des Meeres, von denen die Wände erzitterten, schnitten die wenigen Worte ab. Als Véronique den Tee einschenkte, meldete sie, daß das Haus der Houtelards und fünf andere schon eingestürzt wären; diesmal würde das halbe Dorf dran glauben. Chanteau, der verzweifelt war, daß er noch nicht wieder sein Gleichgewicht in seinen Leiden hatte finden können, verbot ihr den Mund und sagte, er habe reichlich genug an seinem eigenen Unglück und wolle nicht von dem der anderen reden hören. Nachdem man ihn zu Bett gebracht
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