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Die Freude am Leben

Die Freude am Leben

Titel: Die Freude am Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Hände.
    Obgleich es Nacht geworden war, brannte kein Licht in der Küche. Der Raum war leer und düster, die Decke vom Widerschein der Kohlenglut im Herd rötlich beleuchtet. Diese Finsternis ergriff Lazare, und er fand nicht den Mut weiterzugehen. Verstört blieb er mitten in dem Durcheinander von Töpfen und Scheuerlappen stehen und horchte auf die Geräusche, von denen das Haus erschauerte. Von nebenan vernahm er ein Hüsteln seines Vaters, zu dem Abbé Horteur mit dumpfer, stetiger Stimme sprach. Doch was ihn vor allem erschreckte, waren eilige Schritte, Flüstern auf der Treppe, dann ein Gedröhn im oberen Stockwerk, das er sich nicht erklären konnte, wie das erstickte Getöse einer rasch verrichteten Arbeit. Er wagte nicht zu begreifen, war es also zu Ende? Und er blieb unbeweglich stehen, ohne die Kraft zu haben, hinaufzugehen und sich Gewißheit zu holen, als er Véronique herunterkommen sah: Sie lief, sie zündete eine Kerze an und trug sie so eilig fort, daß sie ihm weder ein Wort noch selbst einen Blick zuwerfen konnte. Die Küche, die einen Augenblick erhellt war, sank wieder ins Dunkel zurück. Oben beruhigte sich das Hin und Her. Noch einmal erschien das Hausmädchen, diesmal, um eine Schüssel zu holen; und immer die gleiche verstörte, stumme Hast. Lazare zweifelte nicht mehr, es war zu Ende. Da setzte er sich mit versagenden Kräften an den Rand des Tisches und wartete in der Tiefe dieses Dunkels, ohne zu wissen, worauf er wartete, während ihm von der nun eingetretenen tiefen Stille die Ohren dröhnten.
    Im Schlafzimmer dauerte der letzte Todeskampf bereits zwei Stunden, ein grausamer Todeskampf, der Pauline und Véronique mit Entsetzen erfüllte. Die Angst vor dem Gift war mit dem Todesröcheln wiedergekehrt, Frau Chanteau richtete sich auf, sie sprach immer noch mit ihrer raschen, doch nach und nach von einem wütenden Delirium erregten Stimme. Sie wollte aus dem Bett springen, aus dem Haus fliehen, in dem jemand sie ermorden würde. Das junge Mädchen und die Magd mußten all ihre Kräfte aufbieten, um sie zurückzuhalten.
    »Laßt mich, ihr bringt mich noch um ... Ich muß fort, gleich, gleich ...«
    Véronique versuchte sie zu beruhigen.
    »Frau Chanteau, sehen Sie uns an ... Sie halten uns doch nicht für fähig, Ihnen etwas Böses anzutun.«
    Erschöpft holte die Sterbende einen Augenblick Atem. Sie schien mit ihren trüben Augen, die zweifellos nichts mehr sahen, im Zimmer herumzusuchen. Dann begann sie wieder:
    »Macht den Sekretär zu. Es ist im Schubfach ... Da kommt sie schon herauf. Oh, ich habe Angst, ich sage euch doch, ich höre sie! Gebt ihr nicht den Schlüssel, laßt mich fort, gleich, gleich ...«
    Sie schlug in ihren Kissen am sich, während Pauline sie festhielt.
    »Aber Tante, es ist niemand hier, nur wir beide.«
    »Nein, nein, hört nur, da ist sie ... Mein Gott! Ich werde sterben, die Schurkin hat mir alles zu trinken gegeben ... Ich werde sterben! Ich werde sterben!«
    Ihre Zähne schlugen aufeinander, sie flüchtete sich in die Arme ihrer Nichte, sie erkannte Pauline nicht. Diese preßte sie schmerzlich bewegt an ihr Herz, kämpfte nicht länger gegen den abscheulichen Verdacht und ergab sich darein, daß jene ihn mit in die Erde nahm.
    Glücklicherweise paßte Véronique auf. Sie streckte die Hände vor und murmelte:
    »Mademoiselle Pauline, geben Sie acht!«
    Es war die letzte Krise. Mit einer heftigen Anstrengung war es Frau Chanteau gelungen, ihre geschwollenen Beine aus dem Bett zu schleudern; und ohne das Zuspringen der Magd wäre sie zu Boden gefallen. Wahnsinn schüttelte sie, sie stieß nur noch unartikulierte Schreie aus; die Fäuste geballt wie zu einem Kampf Leib an Leib, schien sie sich gegen eine Vision zu wehren, die sie an der Kehle gepackt hielt. In dieser letzten Minute mußte sie sich wohl sterben sehen, öffnete sie noch einmal kluge, vor Grauen geweitete Augen. In furchtbarem Schmerz griff sie sich einen Augenblick mit den Händen an die Brust. Dann fiel sie in die Kissen zurück und wurde schwarz. Sie war tot.
    Tiefe Stille trat ein. Pauline, die völlig erschöpft war, wollte ihr noch die Augen schließen: Das war das Letzte, was sie ihren Kräften abverlangte. Als sie aus dem Zimmer ging und die Frau von Prouane, die sie nach dem Besuch des Doktors hatte kommen lassen, mit Véronique als Wache zurückließ, fühlte sie, wie ihr auf der Treppe die Kräfte schwanden; und sie mußte sich einen Augenblick auf eine Stufe setzen, denn sie fand nicht

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