Die Freundin meines Sohnes
entwickelte Talente in eine ganz andere Richtung, als ich erwartet hätte, es waren aber dennoch Talente, und dasselbe galt glücklicherweise auch für meine Frau. Elaine hatte ein Jahr nach unserem Umzug nach New Jersey am Graduiertenzentrum der Universität ihren Dr. phil. in Englischer Literatur gemacht, sich aber bis dato nicht ins Getümmel des akademischen Stellenmarkts gestürzt.
Sie mochte sich nicht mit anderen messen, außerdem versuchtenwir eine Familie zu gründen. Sie hatte also keine Verwendung für ihren Dr. phil., und deshalb traf kein einziges Mal eine an Dr. und Dr. Dizinoff adressierte Einladung bei uns ein.
Als Alec dann in die sechste Klasse kam, verspürte Elaine plötzlich den Drang, zu unterrichten. Mit ein paar Anrufen bei alten Professoren hatte sie sich eine Stelle als Lehrbeauftragte an der Bergen State verschafft, wo ihr die allseits unbeliebte Von-Beowulf-bis-Chaucer-Überblicksvorlesung übertragen wurde. Es war eine für Elaines Qualifikation kriminell unterbezahlte Stelle, aber sie stürzte sich mit großer Lust auf den Kurs, und schließlich bewilligte ihr der Lehrstuhlinhaber eine Gehaltserhöhung von fünfhundert Dollar pro Kurs, was Elaines sonst für Schmeicheleien unempfänglichem Ego doch wohltat. Manchmal spielten wir im Bett, dass sie die sexy Professorin und ich der ungezogene Student war. Ich glaube, diese Rolle sagte ihr mehr zu, als sie anfangs gedacht hätte.
Und so galoppierte ich durch meine Steppe, gesund und blind, und das, obwohl Menschen, die mir nahe waren, in ihrer eigenen Achterbahn durch die Hölle feststeckten und den Ausstieg nicht fanden. Oder, um es weniger geschwollen auszudrücken, fast fünfzehn Jahre war es her, dass Joe Stern, mein bester Freund, das Problem mit seiner Tochter Laura hatte, ein schreckliches Problem – eine Sache, die außerhalb jeder Vorstellungskraft liegt, wenn man gerade Vater geworden ist, das Baby ein halbes Jahr alt ist, in seinen Reis sabbert, und die eigene Frau aussieht wie die Madonna persönlich, langes Haar, klare Haut, und dem Kind Brei ins Pfirsichgesicht löffelt.
In dem Jahr, in dem Laura siebzehn wurde, wurde ganz New Jersey von einer Welle von Neugeborenentötungen erfasst. Cheerleader gebaren beim Abschlussball, entsorgten ihre Babys in Müllcontainern. Eines Morgens sagte Iris zu Laura, das Mädchen wollte sich gerade auf den Weg zurSchule machen: Schatz, kannst du dir so was auch nur vorstellen? und Laura schüttelte den Kopf. Am Nachmittag desselben Tages wurde Laura mit hohem Blutverlust ins Round Hill eingeliefert, und ihr Baby, eine Sechsmonats-Schwangerschaft, wurde tot in einem Abfallkübel unweit der Stadtbücherei von Round Hill gefunden. Laura hatte es in der Toilette im ersten Stock zur Welt gebracht. Der Schädel des Kindes sah aus wie eine aufgebrochene Eierschale.
Lebte das Kind, als Laura ihm den Schädel einschlug? Das war der Dreh- und Angelpunkt der juristischen Auseinandersetzung und außerdem, nachgeordnet, die Frage, ob Laura zurechnungsfähig war oder nicht. Joe und Iris, die sich damals gerade mit dem Gedanken getragen hatten, in den School Distrikt zu ziehen, nahmen ihr Haus, vermutlich erleichtert, sofort vom Markt. Iris war mit einem wunderbaren Anwalt aus einer großen Kanzlei befreundet, und gemeinsam fanden sie für Laura die allerbeste Vertretung in der Auseinandersetzung mit dem Staat New Jersey, der im Namen des weiblichen Neugeborenen Stern kämpfte. Joe kümmerte sich um einen Psychiater, und da er in Round Hill keinen adäquaten fand, gingen sie an die Columbia, der ersten Adresse für Jugendpsychiatrie. Vier Tage die Woche. Joe und Iris machten ebenfalls eine Therapie und bemühten sich in der restlichen Zeit, die Presse abzuwehren.
Was habe ich in dieser Zeit gemacht? Wenn man so viele Jahre zurückblickt, fällt genaues Erinnern schwer. Ich werde wohl in meine Arbeit vertieft gewesen sein, ins Geldverdienen, werde mir Sorgen über irgendwelche Aktien gemacht und davon geträumt haben, die Küche zu renovieren. Ich war der Kapitän der Basketball-Mannschaft der Gemeinde in der Altersgruppe 35 plus. Vermutlich war es so – und dann waren da natürlich mein Sohn und meine eigene Ehe, bei der im zwölften Jahr ihres Bestehens erwartungsgemäß die Luft einwenig raus war (Elaine wollte es mit einem zweiten Kind probieren, ich wollte darüber nicht einmal reden). Letztlich aber hatte meine Abwesenheit denselben Grund wie bei allen anderen: Unbehagen, allgemeine Ratlosigkeit,
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