Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Freundin meines Sohnes

Die Freundin meines Sohnes

Titel: Die Freundin meines Sohnes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Grodstein
Vom Netzwerk:
was man sagen sollte, diffuse Abscheu vor dem, was seine Tochter getan hatte, und die Befriedigung, dass es nicht einem selbst passiert ist.
    Eines Morgens jedoch war ich kurz nach sechs in der Halle des JCC, rannte mit dem Ball herum –, Elaines Schnarchen hatte mich geweckt. Und wer kam herein? – Joe, auf dessen Anrufe ich seit anderthalb Wochen nicht reagiert hatte.
    »Himmel, Joe«, sagte ich. Er war hager, hatte mindestens zehn Pfund abgenommen, während ich mich immer mehr gehen ließ. Das Eagles-T-Shirt schlackerte ihm um die Schultern, und seine Shorts waren zu weit.
    »Pete«, sagte er mit einem Nicken und warf mir seinen Ball zu. »Einundzwanzig?«
    »Einundzwanzig«, sagte ich und warf meinen Ball zur Seite. Sechs Uhr morgens war für das JCC sehr früh, wir hatten die Halle für uns. Ich könnte nett sein, dachte ich für mich, und den armen Kerl gewinnen lassen, und dann dachte ich, Joe würde es merken, wenn ich ihn gewinnen ließe. Also gab ich ihm ordentlich Contra, unsere Schuhe quietschten auf dem glänzenden Parkett. Nach sechzehn Minuten stand es zwölf zu zwölf unentschieden, und Joe hatte mich zweimal mit dem Ellbogen so abgedrängt, dass ich zu Boden gegangen war, aber ich hatte ihn auch zweimal geblockt. Zehn Minuten später hatte ich die Runde gewonnen.
    »Was machst du jetzt?«, fragte er, als wir uns den Schweiß vom Hals rubbelten.
    »Was ich mache?« Damals fingen meine Tage immer gleich an: erst das JCC, dann zehn Minuten Sauna, dann duschen, kurzer Zwischenstopp bei Dunkin’ Donuts auf einen Zimt-Donut und einen großen Kaffee, gegen dreiviertel acht in derPraxis. Die Donut-Tüte entsorgte ich immer im Müllkübel im Parkhaus, um nicht damit von Mina erwischt zu werden – sie missbilligte Süßes am Morgen oder wahrscheinlich überhaupt.
    »Möchtest du was frühstücken?«
    Zu dem Zeitpunkt kannte ich Joe seit zwanzig Jahren – ich war sein Trauzeuge gewesen, er war der Patenonkel meines einzigen Kindes, ich hatte tausendmal mit ihm zusammen gegessen. Weshalb fiel mir das jetzt so schwer?
    »Aber wenn du los musst …«
    »Frühstück klingt großartig«, sagte ich. »Wie wär’s mit Ei?«
    Joe hatte einen Termin um halb zehn, sagte er, an der Upper East Side – bei einem Psychiater, Cornell-Absolvent, zu dem niemand, den wir kannten, Verbindung hatte. Joes Partner übernahmen fast sämtliche Belange in der Praxis, damit er sich um seine familiären Probleme kümmern konnte: Sitzungen beim Psychiater für ihn und seine Tochter, Termine bei Anwälten, Mittagspause mit seiner Frau. Lediglich drei Nachmittage die Woche behandelte Joe seine Hochrisikopatienten. Trotzdem, sagte er, wolle er sich die Zeit fürs Frühstück nehmen.
    Aus dem Autoradio plärrte Don Imus. Ich beugte mich vor, um es auszuschalten, aber Joe sagte, nein, lass, und wir fuhren zur Old Lantern und schwiegen, während Imus über Janet Renos Entscheidung lamentierte, dreiundneunzig Bundesanwälte zu feuern. Auf dem Parkplatz zwängte ich meinen Lexus in eine Ecke, und Joe und ich rannten mit über den Kopf gehaltenen Jacken in das Restaurant. Es hatte eben zu regnen angefangen.
    »Und, wie hält Iris sich?«, fragte ich, als wir uns gesetzt und die Kellnerin überredet hatten, uns Kaffee zu bringen.
    »Iris?« Joe zwinkerte. »Weißt du doch«, sagte er. »Sie hat den kompletten Durchblick. Erstens, zweitens, drittens.« Es war ein stehender Witz zwischen uns, dass unsere Frauendie Köpfe unserer jeweiligen Unternehmungen waren und wir bloß Anhängsel.
    »Überrascht mich nicht.«
    »Kosten, Strategien, Termine bei Ärzten und Anwälten. Der Prozess ist für Dezember angesetzt.« Es war der 30. Juni. »Der Anwalt, den wir uns genommen haben, ich hab deinen Bruder Phil deswegen neulich angerufen. Er sagt, der wäre sehr gut.«
    »Tja, Phil kennt seine Pappenheimer«, sagte ich, und kam vor schlechtem Gewissen fast um. Mein Bruder Phil hatte auf Joe Sterns Anrufe reagiert, und ich nicht.
    »Er hat mir Karten für die Knicks angeboten.«
    »Er hat was?«
    Joe lachte, fuhr sich mit der Hand über seine kahle Stelle. Es war das erste Lächeln, das ich an dem Morgen bei ihm sah.
    »Dein Bruder. Joe, ich weiß, hat er gesagt, du machst im Moment eine schwere Zeit durch, und ich möchte dir gern irgendwie helfen. Ich habe Karten für die Knicks, nächste Woche, ganz vorne. Ich möchte, dass du und Iris sie bekommen.«
    »Du nimmst mich auf den Arm.«
    »Ich hab sie sogar angenommen«, sagte Joe. »Warum auch nicht?

Weitere Kostenlose Bücher