Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Friesenrose

Die Friesenrose

Titel: Die Friesenrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Oltmanns
Vom Netzwerk:
wollte er wohl zuerst seine Angelegenheiten in der Heimat regeln. Doch nun hat sich alles zum Guten gewandt: Frederico hat seine unfruchtbare Frau verlassen (ist es nicht ein Glück, dass sie keine Kinder bekommen kann?), und wir haben mittlerweile geheiratet. Ich werde ihm mit unserem Sohn nach Spanien folgen .
    Leider kann ich meinen Großeltern aus der Ferne nicht mehr die nötige Sorge angedeihen lassen. Dies bringt mich dazu, eine Bitte an dich heranzutragen: Du bist, aus Gründen, die mir nicht bekannt sind, für meinen Bruder Thomas nach China gefahren. Dies lässt in mir die Hoffnung wachsen, dass deine Verpflichtung meinem Bruder gegenüber auch die Sorge um das Wohlergehen meiner Großeltern mit einschließt. Ich wäre dankbar dafür, wenn du dich – sofern dich deine Reisen nach England führen – um sie kümmern würdest .
    Ich weiß, dass du einem gemeinsamen Leben mit mir nachtrauern wirst. Gräme dich nicht zu sehr. Außerdem schien mir, als ob diese rothaarige Ostfriesin sich etwas aus dir machen würde. Leider habe ich dich bei ihr in ein schlechtes Licht gesetzt. Nach Thomas’ Tod glaubte ich, auf eine Heirat mit dir angewiesen zu sein. Um Inken jede Hoffnung zu nehmen, gab ich deinen Brief an sie als an mich gerichtet aus. Mir blieb keine andere Wahl damals. Heute gönne ich dich ihr von ganzem Herzen und hoffe, dass du dich mit der Ostfriesin trösten kannst. Du weißt ja, ein Spatz in der Hand ist besser als die Taube auf dem Dach, die man nicht haben kann .
    Lucia
    Ungläubig starrte Inken auf die Zeilen in ihrer Hand. Siewollte nicht glauben, was sie da gelesen hatte. So verlogen konnte doch kein Mensch sein! Obwohl …
    Fassungslos schüttelte Inken den Kopf. Der Brief entglitt ihrer Hand und blieb auf den kalten Steinen des Kirchenbodens liegen. Nur langsam kam ihr die gesamte Tragweite des Gelesenen zu Bewusstsein. Alles war nur ein abgekartetes Spiel gewesen und sie dumm genug, es zu glauben. Ein hysterisches Lachen trat über ihre Lippen, als sie an die letzte Zeile des Briefes dachte. Sie, der Spatz in der Hand! Mit dem Cirk sich trösten sollte! Was war Lucia doch für eine grausame Person, die andere Menschen nur benutzte und als Schachfiguren in ihrem Spiel einsetzte. Der spanische Kapitän war zu bedauern. Ebenso Cirk, der ihr Opfer geworden war.
    „Und du selbst bist auch zu bedauern“, raunte eine Stimme in ihrem Inneren. „Weil du dir deine Liebe zu Cirk durch diese Lügen, diese Intrigen hast zerstören lassen.“
    Benommen lehnte Inken sich mit geschlossenen Augen gegen das Holz. Stille umgab sie, und doch vermeinte Inken plötzlich Worte von den Kirchenwänden hallen zu hören: „Die Liebe ist langmütig und freundlich … Sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles … Die Liebe höret niemals auf!“
    „Die Liebe höret niemals auf“, echote es in ihr. Inken presste ihre Hände gegen die Ohren, doch ihre Gedanken ließen sich dadurch nicht verscheuchen. „Die Liebe höret niemals auf!“ Konnte es möglich sein, dass die Liebe tatsächlich unzerstörbar war? Gab man sich der Illusion, sie sei zerstört, nur hin, um die Kraft zum Weitergehen zu haben? Zum Weitergehen ohne den Geliebten? Inken wusste es nicht. Sie wollte es auch nicht wissen. Denn wenn dem so war, war Cirk nicht nur immer noch in ihrem Herzen, sondern sie mussteihm dort auch wieder mehr Raum geben. Nein, das durfte nicht sein. Sie hatte genug gelitten! Sie würde ihm nicht noch einmal vertrauen können.
    Lange kämpfte Inken mit sich, bis sie begriff, dass sie vor einem Wendepunkt ihres Lebens stand, an dem Verstand und Herz getrennte Wege gingen. Für welchen sollte sie sich entscheiden? Gab es den Weg mit Cirk überhaupt noch? Und wenn ja, wohin führte er? Sollte sie stattdessen nicht doch lieber gleich die Flucht ergreifen?
    Verzweifelt schlang Inken die Arme um sich. Ihr schauderte, und das nicht nur vor Kälte. Draußen tobte der Sturm, doch gegen die Mächte, die sich in ihrem Inneren Bahn brachen, war die steife Brise nicht mehr als ein Säuseln. Inken wiegte sich hin und her. Sie hatte sich geschworen, Cirk aus ihrem Herzen zu verbannen, doch nun brachen die Gefühle der Vergangenheit und der Gegenwart wie eine Flutwelle über ihr zusammen. Halt suchend umklammerten ihre Hände das Holz der Kirchenbank. Mit der Kraft der Vernunft versuchte sie sich in Sicherheit zu bringen, doch es gab kein Entrinnen vor der Wahrheit, die ihr plötzlich klar vor Augen stand: Ihre

Weitere Kostenlose Bücher