Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Friesenrose

Die Friesenrose

Titel: Die Friesenrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Oltmanns
Vom Netzwerk:
unterwegs nach Valenciennes, wo Männer wie er in ein Arbeitslager gesteckt werden.“
    Die Worte des Holländers ließen Inken für einen Augenblick in sich zusammensinken. Wie konnte es nur sein, dass ein Mann, der nichts anderes getan hatte, als menschlich zu handeln, als Verräter galt und wie ein solcher behandelt wurde? Ihr Blick streifte den Soldaten, der sie mitleidig betrachtete. Doch Mitleid war das Letzte, was Inken in diesem Moment ertragen konnte.
    „Er ist unschuldig, und das wissen Sie genauso gut wie ich. Aber mein Vater wird sich nicht vor den Franzosen beugen. Sie, Sie dagegen haben sich kaufen lassen. Nach außenhin scheinbar unversehrt, sind Sie doch innerlich zerbrochen. Napoleon hat Sie in seine Uniform gezwungen. Wie fühlt man sich, wenn man dazu beiträgt, einen Unschuldigen auszuliefern?“ Erregt sprang Inken auf, und ihre ganze Wut gegen die neuen Machthaber in Ostfriesland und die ungerechte Behandlung ihres Vaters brach sich Bahn. „Gott im Himmel, was haben die Franzosen nur aus euch Holländern gemacht? Warum habt ihr nicht aufbegehrt, als er euch seinen Bruder Louis vor die Nase setzte?“
    Der Holländer schnaubte. „Was wissen Sie denn schon von unserem Leben unter der Herrschaft Napoleons? Wie es ist, jemandem zu dienen, den man eigentlich hasst. Wenn einem aber keine andere Wahl bleibt, um seine Familie zu schützen. Die Hand der Franzosen sitzt locker. Sie haben es gerade selbst erst zu spüren bekommen.“
    Für einen Augenblick herrschte Schweigen. Die Augen des Mannes wanderten durch den Raum und blieben an einem Fliesentableau hängen, das den Walfang thematisierte und eine dramatische Szene darstellte. Auf dem Eismeer war eine für den Walfang umgebaute Fleute, die „De Jonas im Walfis“, zu sehen. Während im Vordergrund Seeleute mit ihren Schaluppen an einen riesigen Wal heranruderten. Sie hielten Harpunen und Lanzen bereit. Eines der Boote befand sich in unmittelbarer Nähe des Tieres, das seine mächtige Schwanzflosse erhoben hatte, um das kleine Boot zu zerschmettern.
    Der Soldat wies auf das Tableau. „Der mächtige Wal wird mit einem einzigen Schwanzschlag das Boot und die Mannschaft vernichten. Genauso wird sich Napoleon verhalten und alle zerstören, die sich ihm entgegenstellen. Wenn man das weiß, dann ist es leichter, die Uniform zu tragen. Es bleibt einem keine andere Wahl, wenn man überleben will.“
    Inkens Finger wies auf die anderen kleinen Boote. „DerWal mag diesmal gewinnen. Er wird das kleine Boot zerstören, und die Männer werden vielleicht sterben. Doch er wird nicht siegen. Schauen Sie nur auf die nachfolgenden Boote und ihre Insassen. Rückschläge treffen die Walfänger hart. Sie bringen Leid und Verlust an Leben. Doch trotzdem werden erneut Männer auf Walfang fahren, Männer wie mein Vater, Jahr für Jahr. Und irgendwann wird der Wal den Kürzeren ziehen. Genau wie Napoleon, glauben Sie mir.“
    Der Soldat nahm seine Kopfbedeckung ab und fuhr sich müde mit der Hand durchs Haar.
    „Holländer.“ Inken blickte ihm eindringlich in die Augen. „Napoleon ist nicht Gott. Keine weltliche Macht dauert ewig. Es werden auch wieder andere Zeiten kommen. Und wie wollen Sie dann Ihr Verhalten vor sich selbst verantworten? Die Franzosen mögen Holland regieren, doch über die Herzen der Menschen haben sie keine Gewalt. Legen Sie Ihre Uniform ab! Wir Ostfriesen werden Napoleons Sargnagel sein! Und schon bald wird mein Vater zurückkehren und hier vor der Tür stehen.“ Inken hielt kurz inne. „Was wird jetzt eigentlich mit mir geschehen?“
    Der Soldat blickte zu Boden. „Ich weiß es nicht genau. Vielleicht bringt man Sie ebenfalls nach Frankreich. Ich hörte den Kommandanten bewundernd von diesem schönen Haus sprechen. Es ist eines der wenigen auf Borkum, das Gnade vor den Augen der Franzosen findet. Es wird ein Leichtes sein, Ihnen etwas anzuhängen. Und sagen Sie selbst, wäre es nicht dumm von den Franzosen, sich solch einen schönen Besitz entgehen zu lassen? Für sie wäre das ein gutes Quartier.“
    Seine Worte trafen Inken mitten ins Herz. „Ein gutes Quartier“ – dieses Haus, das sie so sehr liebte! Ihres Vaters Haus, das sich eng an einen großen Birkenbaum schmiegte und das von Zähnen aus den Kinnladen von Walfischen umrahmtwurde. Dessen hinterer Teil mit Efeu bewachsen war und in dessen vorderem Teil es ein Wohnzimmer, eine Küche und zwei Räume mit eingelassenen Schlafbutzen gab.
    Inken seufzte leise, und ihre Augen glitten

Weitere Kostenlose Bücher