Die Friesenrose
verständnislos mit den Schultern. Sie verstand kein Französisch.Ein Soldat drängte sich zu ihnen durch. Aus seinem hohen Tschako aus Filz lugte helles Haar, und Inken erkannte sofort, dass er kein Franzose war.
„Keine Angst, Ihnen wird nichts geschehen. Lassen Sie die Soldaten bitte freiwillig ins Haus, sonst werden sie Gewalt anwenden.“
Inken ließ die Arme sinken und trat einen Schritt zur Seite. Sie maß den Soldaten argwöhnisch. „Sie sind Holländer?“, stellte sie eher fest, als dass sie fragte. Der Soldat nickte.
„Was wollen die Männer?“ Schützend schlang Inken ihre Arme um den Körper.
„Sie glauben, hier seien Engländer versteckt“, antwortete der Soldat und beobachtete sie abschätzend. Inken konnte in seinen Augen lesen, dass er nicht damit rechnete, fündig zu werden.
„Es ist noch nicht einmal erlaubt, das Wort ,Engländer‘ in den Mund zu nehmen. Und da glauben Sie, wir würden es wagen, die Feinde Napoleons zu verstecken? Mein Vater wäre niemals so unbesonnen. Er würde uns nicht in Gefahr bringen.“ Inkens Stimme klang bitter. Für einen Augenblick schloss sie die Augen und sah das geliebte Gesicht ihres Vaters vor sich, der, das wusste sie, alles dafür tat, um sie unbeschadet durch die schwierige Zeit zu bringen.
„Morgen kommt er vom Walfang zurück. Und glauben Sie mir“, fügte sie mit Überzeugung hinzu, „mein Vater wird dieses nächtliche Eindringen nicht so einfach hinnehmen.“
„Ihr Vater wird nicht kommen! Morgen nicht – und vielleicht sogar niemals mehr!“ Die mit tonloser Stimme vorgebrachten Worte des Soldaten ließen Inken für einen Augenblick erstarren. Die Ungläubigkeit, die auf ihrem Gesicht stand, bewirkte, dass sich der Holländer immer unbehaglicher fühlte.
Seine anschließende Erklärung kam einer Rechtfertigung gleich. „Es sind Engländer auf dem Schiff Ihres Vaters entdeckt worden. Deshalb durchsuchen die Franzosen auch Ihr Haus. Man vermutet hier ein Versteck.“
„Nein.“ Inken schüttelte entschlossen den Kopf. „Hören Sie, es muss sich um einen Irrtum handeln!“
„Vier Engländer waren es, um genau zu sein.“ Der Soldat bedachte Inken mit einem mitleidigen Blick, während Inken ihn nach wie vor verständnislos ansah. „Mein Vater macht keine Geschäfte mit Engländern. Er ist auf Walfang gewesen.“ Inken hob den Kopf, um dem Soldaten besser in die Augen blicken zu können. „Was war seine Erklärung für die Anwesenheit der Engländer auf seinem Schiff?“
Der Soldat wich Inkens Blick aus. „Er erklärte, es seien Schiffbrüchige. Vor einigen Tagen habe er sie aus dem Wasser gefischt. Und es könnte sogar stimmen, denn die Franzosen haben in der Tat erst vor Kurzem ein englisches Frachtschiff aufgebracht. Da in ihren Augen alle Engländer des Todes sind, haben sie die Besatzung kurzerhand über Bord gehen lassen.
„Napoleons kaltblütiges Wesen hat demnach also auch schon auf seine Soldaten abgefärbt. Sie verhalten sich nicht mehr wie Menschen, sondern nur noch wie Kriegshandlanger. Mein Vater aber würde jedem, der in Not ist, seine Hilfe anbieten. Und ich liebe ihn dafür!“ Stolz schwang in Inkens Stimme mit.
„Aber doch keinem Engländer, zumindest nicht in diesen Zeiten!“, flüsterte ihr der Soldat zu.
„Doch, jedem Menschen“, bekräftigte Inken ihre Worte, „er würde selbst einen ertrinkenden Hund aus dem Wasser ziehen.“
Dann, als würde ihr die Tragweite des Geschehens erstjetzt vollkommen bewusst werden, riss sie die Augen auf. „Was meinten Sie damit, dass mein Vater nicht kommen wird?“
Sie begann zu zittern. Der Soldat bemerkte es und griff nach ihrem Arm. „Wir sollten ins Haus gehen, Sie werden sich sonst noch den Tod hier draußen holen.“
Inken nickte, entwand dem Soldaten aber ihren Arm, während sie zurücktrat und ins Wohnzimmer ging. Der Holländer folgte ihr. Tatsächlich schlugen Inkens Zähne vor Kälte bereits aufeinander, gleichzeitig fühlte sie jedoch eine siedende Hitze in ihrem Inneren aufsteigen. Kerzengrade setzte sie sich auf den Rand eines Stuhls, während sie den Soldaten eindringlich musterte.
„Wo ist mein Vater?“
Der Holländer seufzte. „Auf dem Weg nach Frankreich.“
„Nein!“ Inkens Aufschrei ließ ihn zusammenfahren.
„Doch.“ Er wollte nach ihrer Hand greifen, sie beruhigen, aber Inken ließ es nicht zu. „Sie wissen, dass Napoleon für besonders schwere Vergehen Ausnahmegerichtshöfe in Frankreich hat einrichten lassen. Ihr Vater ist
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