Die Frucht des Bösen
noch mehr und kam immer öfter. Ich konnte es nicht mehr ertragen und ging in jener Nacht zu Mom ins Schlafzimmer. Um ihr zu sagen, was er tat. Und ich hatte seine Pistole bei mir.»
«Hast du Jenny damit bedroht?», fragte meine Tante irritiert. «Du wolltest doch nicht etwa deine Mutter erschießen?»
«Nein, ich habe ihn bedroht. Ich sagte meiner Mom, dass ich ihn erschießen würde, wenn sie nicht dafür sorgte, dass er aufhört. Das war mein Plan. Nicht schlecht für ein kleines Mädchen, nicht wahr?»
«Danielle … Was ist dann passiert?»
«Er kam nach Hause, als wir gerade miteinander sprachen. Er war betrunken und rief nach uns. Wir hörten ihn die Treppe hochtorkeln. Mom wollte, dass ich ihr die Waffe gebe. Sie sagte, sie würde sich um alles Weitere kümmern. Sie würde mir helfen. Das hat sie versprochen. Ich müsse ihr nur die Waffe geben.»
«Was hast du getan?»
«Ich habe sie ihr gegeben, bin dann auf mein Zimmer gerannt und habe mich unter der Decke versteckt. Darunter hervorgekrochen bin ich erst wieder … danach.»
Meine Tante holte zitternd Luft. Sie stellte ihr Wasserglas auf dem Kaffeetisch ab, stand auf und trat vors Fenster. Sie war eigentlich keine unruhige Frau oder jemand, der nicht still sitzen konnte. Deshalb war ich überrascht und beobachtete sie, als sie auf das sonnenüberflutete Moor hinausschaute. Der Anblick der Vögel war weiß Gott angenehmer als unser Gespräch.
«Du fühlst dich mitschuldig an dem, was dein Vater getan hat, nicht wahr?», sagte sie leise.
«Ich war noch ein Kind und habe mir nichts vorzuwerfen.»
Sie drehte sich um und lächelte matt. Eine Träne rollte ihr über die Wange. Sie wischte sie weg und verschränkte die Arme vor der Brust. «Dr. Frank hat gute Arbeit geleistet.»
«Du hast ihn ja auch gut dafür bezahlt.»
«Verachtest du mich auch, Danielle? Wirfst du jetzt mir vor, was du deiner Mutter vorgeworfen hast?»
«Wusstest du denn Bescheid? Warum warst du eigentlich immer so erpicht darauf, dass ich zur Therapie gehe? Hat Mom dir gesagt, was ich mir von ihm gefallen lassen musste?»
Tante Helen schüttelte langsam den Kopf, und eine zweite Träne brach sich Bahn. «Dass du missbraucht worden bist, wusste ich nicht. Aber ich hatte einen Verdacht. Den hatte auch Dr. Frank. Aber, Danielle, nicht alles, was bei euch zu Hause passiert ist, hatte mit dir zu tun.»
«Aber ich habe mich offenbart, damit es endlich aufhört, und alle mussten sterben. Mom, Johnny, Natalie. Wenn ich nichts gesagt hätte … wenn ich einfach seinen Willen weiter befolgt hätte …»
«Dein Vater war ein egozentrisches Schwein. Niemand konnte es ihm recht machen. Weder Jenny noch seine Kinder, schon gar nicht Sheriff Wayne, der ihm immer wieder eine zweite Chance gegeben hatte. Diesen Vorwurf kannst du dir nicht machen.»
«Aber Natalie und Johnny konnten doch überhaupt nichts dafür. Meine Mom schon, und dafür hasse ich sie. Manchmal jedenfalls. Sie ist bei ihm geblieben. Schlimmer noch, sie hat mir die Pistole abgenommen. Hätte sie mich machen lassen … Immer wenn es mir dreckig geht, sage ich mir, Mom hat bekommen, was sie verdient hat. Aber Natalie und Johnny –» Meine Stimme versagte. Ich stand auf und begann auf und ab zu laufen. «Sie sind gestorben, weil sie den Kopf zur Tür herausgestreckt haben. Und ich lebe noch, weil ich vor lauter Angst im Bett geblieben bin. Das ist nicht fair, und daran ändern auch die vielen Jahre nichts, die seitdem vergangen sind.»
«Danielle, ich weiß nicht genau, was damals passiert ist. Ich weiß nicht im Einzelnen, wer wem was angetan hat, ob zu Recht oder zu Unrecht. Aber du irrst, was deine Mutter angeht. Sie hatte genug. Am Tag vor der Sache rief sie mich an. Sie wollte, dass ich ihr einen guten Scheidungsanwalt empfehle. Sie wollte deinen Vater vor die Tür setzen.»
«Was?»
Meine Tante zögerte, schien sich dann aber zu einem Entschluss durchgerungen zu haben. «Sie hatte jemanden kennengelernt. Einen guten Mann, sagte sie, einen, der bereit war, ihr zu helfen. Sie wollte nur noch ein paar Vorbereitungen treffen und dann deinen Vater bitten, in eine Scheidung einzuwilligen.»
Mir fehlten die Worte. Ich starrte meine Tante fassungslos an.
«Es ist gut möglich, dass Jenny ihren Mann in dieser Nacht gar nicht auf deine Enthüllungen angesprochen hat», fuhr sie fort. «Vielleicht war sie nach deinem Geständnis so entsetzt, dass sie ihn schon in jener Nacht vor die Tür setzen wollte. Und als sie von
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