Die Frucht des Bösen
irgendwann werde ich über alles hinweg sein. Ich liebe dich, Tante Helen. Und verzeih, wenn ich manchmal so zickig bin. Jedenfalls bin ich heilfroh, dich zu haben.»
«Bis morgen», sagte sie und ergriff meine Hände. «Wir werden gemeinsam gehen.»
«Bis morgen.» Ich entzog ihr meine Hände und eilte zur Tür. Ich hatte es eilig, ihr Haus zu verlassen.
Auf dem Weg zu meinem Auto zog ich das Handy aus der Tasche. Ich hatte seine Nummer vergessen, also rief ich im Sheriffbüro an. Kaum wurde am anderen Ende abgehoben, sagte ich: «Ich suche Sheriff Wayne. Mein Name ist Danielle Burton. Ich muss unbedingt mit ihm reden.»
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30 . Kapitel
Blut. Die ersten Spuren entdeckte D. D. im Aufenthaltsbereich. Spritzer auf einem der Tische und an der Wand dahinter. Auf dem mit Teppich ausgelegten Flur waren Tropfen zu sehen.
«Verdammt», zischte D. D. Sie hatte sich geirrt in der Annahme, es blieben noch zwei, drei Stunden Zeit. Das prophezeite Unheil war offenbar schon eingetroffen.
«Die Kinder», rief Karen. «Wo sind die Kinder?»
In diesem Moment war wieder ein schrilles, durchdringendes Kreischen voller Wut zu hören. «
Nein, nein, nein. Weg. Ich bring dich um. Ich
KRATZ DIR DIE AUGEN AUS !»
D. D. und Karen rannten durch den Flur, zum Badezimmer auf der rechten Seite, vor dessen geöffneter Tür ein MC stand, die Arme ausgestreckt, um den Ausgang zu versperren. Am Waschbecken dahinter stand ein älteres Mädchen mit großen dunklen Augen und strähnigen braunen Haaren. Sie hielt eine Schere in der Hand, von der Blut tropfte.
«Rühr mich nicht an! Ich trete dir in die Eier. Ich reiß dir den Penis ab!»
Die Schreie gellten durch den Flur. D. D. traute ihren Augen und Ohren nicht. Sie hörte die Stimme eines wild gewordenen Jungen, sah aber nur ein blutverschmiertes Mädchen.
«Komm zu mir, Aimee», sagte der MC , als sich ihm Karen von hinten näherte. «Alles ist gut. Hol tief Luft und leg die Schere weg. Es gibt doch nichts, womit wir nicht fertigwerden könnten, stimmt’s? Wir beide, du und ich, und ein paar deiner liebsten Malbücher –»
« ICH WILL DEIN BLUT TRINKEN! », brüllte der Junge aus einer anderen Richtung.
Aimee hob den linken Arm und ritzte sich mit einer Schere die Haut auf. Scheinbar fasziniert starrte sie auf den Schnitt, der sich mit Blut füllte. Beide Arme waren geschunden, genauso wie die Wangen und der Hals. Ihre Haut sah aus wie ein verrückter, blutig gesäumter Schottenrock.
Ein Getöse am Ende des Flures. Etwas Schweres, Hölzernes krachte vor die Wand. « RÜHR MICH NICHT AN RÜHR MICH NICHT AN RÜHR MICH NICHT AN !»
Aimee fuhr mit dem Kopf herum und ritzte sich die Haut über dem Schlüsselbein auf.
«Um Himmels willen, nehmen Sie ihr die verdammte Schere ab!», rief D. D. «Worauf warten Sie noch?»
Karen legte ihr eine Hand auf die Schulter.
«Ed?», fragte sie leise.
«Aimee hat nicht angefangen», murmelte der MC . «Ich weiß nicht, was passiert ist. Greg hat das neue Kind durch die Station geführt, und plötzlich warf sich Benny im Aufenthaltsraum mit voller Wucht gegen die Wand. Dann fing Jimmy an, mit Stühlen um sich zu schmeißen, und dann war alles zu spät. Ich habe versucht, Jamal in sein Zimmer zurückzubringen, während Cecille Jimmy in Schach hielt und Greg den Neuen in Sicherheit brachte. Als Andrew kam, um zu helfen, hat er von Jorge eins aufs Auge gekriegt.»
« NEIN NEIN NEIN NEIN NEIIIIIIN! »
«Jorge hat Andrew geschlagen?», fragte Karen sichtlich schockiert.
«Und wie. Zum Glück hat Lightfoot besonnen reagiert und mir Jorge abgenommen. Aber als ich mich wieder um Jamal kümmern wollte, hatte unsere Freundin Aimee plötzlich die Schere in der Hand.»
«Wie ist das möglich? Wir haben doch alle Bastelsachen unter Verschluss.»
Ed wandte sich kurz von Aimee ab, um seiner Chefin einen gequälten Blick zuzuwerfen. «Falls es noch nicht bei dir angekommen sein sollte, Karen: Wir haben da ein paar kleine Engpässe, aber reichlich zu tun. Und wenn Benny dann auch noch durch Wände zu gehen versucht –»
« WICHSER WICHSER WICHSER. ICH REISS DIR DIE OHREN AB. ICH MACH MUS AUS DEINEM GEHIRN. MIT ’NER BANANE DAZU. LECKER LECKER LECKER .»
«Oh nein.» D. D. ahnte jetzt, wer da schrie. Benny. Der kleine Junge mit den braunen Augen, der so gerne Früchte zermanschte oder Flugzeuggeräusche von sich gab. Sie warf einen Blick auf Karen und sah ihrer Miene an, dass auch sie längst Bescheid wusste. Ein Tag im Leben
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