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Die Frucht des Bösen

Die Frucht des Bösen

Titel: Die Frucht des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
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verschwindet und kehrt wenig später mit einer Tasse zurück, die zur Hälfte mit Crushed Ice gefüllt ist. Ich lutsche ein wenig davon und spüre ein zunehmendes Unwohlsein in der Magengegend. Narkosen sind mir noch nie gut bekommen. Eis ist wohl wirklich das Einzige, was mir zurzeit helfen kann.
    «Gleich wird ein Arzt kommen und sich mit Ihnen unterhalten», sagt sie und geht. Michael und ich starren uns wieder an.
    «Danke, dass du hier bist», gelingt es mir zu sagen. Etwas anderes fällt mir nicht ein.
    Er zuckt mit den Achseln. «Irgendjemand musste ja kommen. Entweder ich oder deine Mutter.»
    Mir ist klar, was er meint. Meine Mutter meidet den Kontakt zu mir. Für sie bin ich keine Tochter, sondern eine Konkurrentin. Zumindest war das früher so. Allerdings hat sie mich und ihre Enkelkinder schon so lange nicht mehr gesehen, dass sie keine Ahnung hat, wie tief ich gefallen bin.
    «Evan?» Ich versuche es wieder.
    «Er ist okay.»
    «Er wollte nicht –» Ich stocke.
    Michael hebt eine Hand. So wütend habe ich ihn noch nie gesehen. «Weißt du, warum ich gegangen bin?», fragt er unvermittelt. «Weißt du, warum ich mit Chelsea das Haus verlassen habe?»
    Ich schüttele den Kopf. Seine Wut macht mir Angst.
    «Weil ich ahnte, dass mir früher oder später nichts anderes übrigbleibt, als meinen Sohn zu töten, um Frau und Tochter zu schützen. Und das wollte ich nicht. Verdammt, auch ich liebe ihn, Victoria. Ich habe nie aufgehört, ihn zu lieben.»
    Ich weiß nicht, was ich sagen soll.
    «Ist dir bewusst, auf was du es hast ankommen lassen?», setzt er mit brüchiger Stimme nach. «Er ist acht und muss nun mit dieser Schuld leben, dich beinahe getötet zu haben. Er ist noch ein Kind, um Himmels willen. Wie soll er damit fertigwerden? Mit all den wirren Gedanken, die er im Kopf hat? Wie zum Teufel soll er damit umgehen?»
    Ich weiß nicht, was ich sagen soll.
    «Ich dachte schon, du wärst tot. Da kam dieser Anruf, und der Sanitäter machte solche Andeutungen … Ich habe mich sofort auf den Weg gemacht. Dachte, Evan hätte dich ermordet. Polizei und Ärzte haben mich aufgehalten und mit Fragen bombardiert. Ich konnte nicht zu dir rein, du warst schon im OP . Und Evan lag gefesselt auf einem Krankenhausbett. Man hat ihm Handschellen angelegt. Meinem Sohn. Meinem kleinen Jungen …»
    Die Stimme versagt ihm. Er wendet sich von mir ab und starrt auf die Wand.
    «Ich musste Darren verständigen», sagt er nach längerer Pause. Darren ist ein alter Studienfreund und inzwischen Anwalt. «So weit haben wir es kommen lassen, Victoria, dass wir nun wegen Evan juristischen Rat brauchen.»
    «Er hat mich nicht –», versuche ich noch einmal.
    Michael wirbelt herum. «Hör auf damit! Was kümmert mich deine Verletzung? Was interessiert es mich, dass du fast draufgegangen wärst? Ich hätte nicht übel Lust, dich zu schlagen, bis du ein für alle Mal einsiehst, dass du mit deinem ewigen Leugnen unseren Sohn zerstörst. Evan wollte dich sehr wohl treffen. Es war Vorsatz. Er hat dieses gottverdammte Messer vom Abtropfgestell genommen und unterm Sofapolster versteckt, wo du es nicht finden konntest. Und dann hat er nur noch auf den richtigen Moment gewartet, um dir das Messer zwischen die Rippen zu stoßen.»
    «Woher weißt du das? Wie kannst du all das wissen?»
    «Er hat es mir gesagt.»
    Mir fällt die Kinnlade herunter. Ich traue meinen Ohren nicht.
    «Er hat mir alles gestanden. Seine Augen waren dabei wie tot. Er hat auf dich eingestochen und ist selbst daran zerbrochen. Ich fürchte, das war’s für ihn. Findest du es immer noch richtig, ihn nicht in ein Heim gegeben zu haben, Victoria?»
    Seine bitteren Worte treffen mich so schmerzlich, wie es wohl seine Absicht ist. Ich spüre das volle Ausmaß seiner Hilflosigkeit, die tiefwurzelnde Wut, gewachsen in all den Jahren, da er sich in seiner väterlichen Fürsorge von mir übergangen fühlte, weil ich mit seinen Vorschlägen nicht einverstanden war und ich nicht ablassen wollte von meinen Vorstellungen, was für unseren Sohn das Beste sei. Ich bin die Mutter im umfassenden Sinne des Wortes. Michael ist der Praktiker. Unsere Partnerschaft war wohl von Anfang an zum Scheitern verurteilt.
    «Ist … ist Evan festgenommen worden?», frage ich und versuche, mich in eine bequemere Liegeposition zu bringen. Mir ist flau, was womöglich weniger auf unser Gespräch zurückzuführen ist als auf die Nachwirkungen der Narkose.
    «Ich schätze, dass ein Haftbefehl ergeht,

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