Die Frucht des Bösen
Fähigkeit, Probleme zu lösen. Typisch für Gewaltverbrecher. Es gibt Kerle, die wollen sich scheiden lassen, aber keinen Unterhalt bezahlen, und erschießen deshalb ihre Frau. Müssen sie das? Bleibt ihnen etwa nichts anderes übrig? Kann man nicht eine Ehe beenden und trotzdem das eigene Bankkonto schonen? Durchaus. Aber Mörder sehen keine anderen Möglichkeiten. Deshalb werden sie zu Mördern.»
Sie saßen in ihrem Büro. Die Sonderkommission hatte sich aufgelöst, der Fall war abgeschlossen. Eigentlich hätte auch dieses Thema durchgekaut sein sollen, doch D. D. und Alex wärmten es zum wiederholten Mal auf.
«Ach ja?», fuhr Alex vor. «Aber wo hat Lightfoot gelernt, ganze Familien abzuschlachten? Auf der Handelsschule oder in einem Seminar für Schamanen? Wie schafft man es, eine erwachsene Frau und einen athletischen Burschen mit einem einzigen Messerstich zu töten? Und wie eiskalt und verkommen muss man sein, ein schreiendes Mädchen durch den Flur zu jagen, um es schließlich umzubringen? Oder auf ein kleines Mädchen zu schießen, das auf einem Hundekissen liegt? Oder einen Säugling zu ersticken?»
«Das beweist, wie verquer der Typ tickte. Überleg doch mal: Er führte ein Doppelleben als Investmentbanker namens Ficke und als Wunderheiler namens Lightfoot. Der Banker war mit Sicherheit kein besonders sympathischer Typ; er vögelte wild in der Gegend herum, haute Freunde übers Ohr, und das alles im Namen der Hochfinanz. Eines Tages war er es leid, Ficke zu sein, und mauserte sich zum freundlichen, sanften Lightfoot. Anfangs hat er sich vielleicht tatsächlich eingebildet, anderen mit seinem Woo-woo helfen zu können. Dann aber fand er vermutlich schnell Geschmack an der Macht, die man als Guru gewinnt, und auf seinem New-Age-Trip meldeten sich seine ureigenen Raubtierinstinkte zurück. Andrew fängt an, den Staat zu bescheißen, nutzt verzweifelte Mütter aus und füttert sein Ego. Er wird wieder Ficke, bewaffnet diesmal mit esoterischem Firlefanz, mit dem er andere manipuliert.»
«Er war auf Danielle scharf», sagte Alex.
«Ja. Alles dreht sich um sie, um das Mädchen, das sein Vater gerettet hat, die Frau, die auf ihn, Andrew, nicht hereinfällt. Aber er will sie und hat bislang immer bekommen, was er wollte. Und weil er letztlich doch nicht bei ihr landen konnte, wollte er wenigstens durchsetzen, dass sie auch für andere nicht zu haben ist.»
«Soll heißen, eine eigensinnige Frau kann einen Mann zum Wahnsinn treiben.»
«Wenn man so will», entgegnete D. D. bescheiden. «Der Fall ist abgeschlossen, der Täter tot, und inzwischen haben wir sieben Uhr. Ich habe die vergangenen vier Nächte kaum geschlafen. Warum zum Teufel sind wir immer noch bei der Arbeit?»
«Weil du noch nicht ja gesagt hast.»
«Wozu?»
«Zum Hühnchencurry, das ich für dich kochen möchte. Dazu gibt’s frisches Weißbrot und eine Flasche Chianti.»
«Und Tiramisu zum Nachtisch?», fragte D. D.
«Vanilleeis.»
D. D. sah ihn an. Alex sah sie an.
Sie seufzte, nahm ihren Pager vom Gürtel und legte ihn vorsichtig auf den Schreibtisch.
«Alex, bring mich nach Hause.»
Danielle
Im abschließenden Polizeibericht heißt es sinngemäß, Andrew Lightfoot habe vermutlich den Verstand verloren und zwölf Menschen getötet, um die Seele seines Vaters zu retten und mich auf sich aufmerksam zu machen. Das Wörtchen «vermutlich» spricht für die Hilflosigkeit, mit der versucht wurde, seine kaum nachvollziehbaren Motive zu erklären.
Ich habe diese Auffassung gar nicht erst zu korrigieren versucht und meine Meinung für mich behalten, zumal ich keine konkreten Beweise dafür ins Feld führen kann. Um ehrlich zu sein, habe ich an meine Auslegung bis vor kurzem selbst nicht wirklich geglaubt. Aber ich arbeite mit Kindern, und Kinder sind sehr zuverlässige Indikatoren für den Nachweis von Eigentümlichkeiten der menschlichen Natur. Die Kinder unserer Station haben Andrew gemocht und sind auf ihn angesprungen. Auch wenn mir seine Methoden suspekt waren, musste ich doch anerkennen, dass er durchaus Erfolg damit hatte.
Ich glaube nicht, dass ein Wahnsinniger unseren Kindern helfen kann, schon gar nicht solchen, die überempfindlich sind und alles Unstimmige wahrnehmen. Ich glaube, Andrew war authentisch, zumindest anfangs. Möglich, dass er auf seinen Reisen durch spirituelle Zwischenwelten auf eine negative Energie gestoßen ist, der er nicht gewachsen war. Ja, ich glaube, er hat die korrupte Seele meines
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