Die Fünf Tore 1 - Todeskreis
Sachen sind Beweismittel. Dann kannst du duschen, und danach wird dich ein Arzt untersuchen.«
»Ich bin nicht krank. Ich brauche keinen Arzt.«
»Das ist nur Routine. Er wird sich dich kurz ansehen und dir vielleicht etwas geben, damit du schlafen kannst.« Mallory sah einen der Polizisten an. »Also los.«
Matt stand auf. »Können Sie ihm sagen, dass es mir leid tut?«, fragte er. »Dem Wachmann. Mark Adams. Ich weiß, dass es keinen Unterschied macht und dass Sie mir wahrscheinlich sowieso nicht glauben. Aber es tut mir leid.«
Mallory nickte. Der Polizist nahm Matt am Arm und führte ihn zurück auf den Flur.
Er brachte ihn in einen weiß gefliesten Umkleideraum mit harten Holzbänken. Matts Kleider wurden in einen Plastiksack gestopft, der zugeklammert und beschriftet wurde. Dann duschte er. Er hatte keine Privatsphäre, aber das hatte Mallory ihm ja gesagt.
Obwohl die ganze Zeit ein Polizist dabei war, gelang es Matt, das Duschen zu genießen – das heiße Wasser, das auf seinen Kopf und seine Schultern prasselte und das Blut und die Angst der letzten Stunden wegwusch. Nur allzu schnell war es vorbei. Er trocknete sich ab und zog ein graues T-Shirt und Boxershorts an, die so flach gebügelt waren wie Papier.
Schließlich führte man ihn in einen Raum, der aussah wie ein Zimmer in einem Krankenhaus. Vier Metallbetten und vier identische Tische – sonst nichts. Der Raum fühlte sich an, als wäre er fünfzig Mal hintereinander geputzt worden. Sogar die Luft schien sauber zu sein. Offenbar war er der einzige Bewohner des Zimmers.
Matt ging ins Bett, und bevor irgendein Arzt kommen konnte, war er eingeschlafen. Der Schlaf kam so schnell, wie ein Zug in einen Tunnel einfährt. Er schloss einfach die Augen und ließ sich fallen.
Zur gleichen Zeit saß Mallory ein Stockwerk tiefer einer ältlichen, mürrisch blickenden Frau gegenüber, die es schaffte, gleichzeitig missbilligend auszusehen und zu gähnen. Die Frau war Gwenda Davis, Matts Tante und Vormund. Sie war klein und unattraktiv, mit mausgrauen Haaren und einem verkniffenen Gesicht. Mrs Davis trug kein Make-up und hatte große Tränensäcke unter den Augen. Gekleidet war sie in einen alten schäbigen Mantel, der vielleicht einmal sehr teuer gewesen, doch jetzt an den Rändern ausgefranst war. Wie die Frau, die ihn trägt, dachte Mallory. Er schätzte sie auf ungefähr fünfundvierzig. Sie wirkte nervös, als wäre sie die Beschuldigte, nicht ihr Neffe.
»Und wo ist er?«, fragte sie. Ihre dünne, weinerliche Stimme ließ die Frage wie eine Beschwerde klingen.
»Ihr Neffe ist oben«, sagte Mallory. »Er war eingeschlafen, bevor der Arzt ihn sich ansehen konnte, aber er hat ihm trotzdem ein Beruhigungsmittel gegeben. Es ist gut möglich, dass er unter Schock steht.«
»Er steht unter Schock?« Gwenda Davis lachte kurz auf. » Ich bin diejenige, die unter Schock steht, das kann ich Ihnen sagen! Mitten in der Nacht angerufen und herzitiert zu werden! Ich bin eine anständige Frau. Und nun diese Geschichte! Das ist die Höhe!«
»Wenn ich Sie richtig verstanden habe, leben Sie mit einem Mann zusammen.«
»Brian.« Mrs Davis fiel auf, dass Mallory einen Stift in die Hand genommen hatte. »Brian Conran«, fuhr sie fort und sah zu, wie der Detective es notierte. »Er schläft. Und er ist nicht mit dem Jungen verwandt – warum also sollte er wegen ihm mitten in der Nacht aufstehen? Er muss schon früh genug raus.«
»Was arbeitet er?«
»Was geht Sie das an?« Doch dann zuckte sie die Achseln. »Er ist Milchmann.«
Mallory zog ein Blatt Papier aus einer Akte. »Ich entnehme Matthews Akte, dass seine Eltern gestorben sind«, sagte er.
»Ein Autounfall.« Gwenda Davis schluckte. »Er war acht Jahre alt. Die Familie hat in London gelebt. Seine Mutter und sein Vater kamen ums Leben. Er saß nicht mit in dem Auto.«
»Keine Geschwister?«
»Er war ein Einzelkind. Und er hatte auch keine Verwandten. Niemand wusste, was aus ihm werden sollte.«
»Sind Sie mit seiner Mutter verwandt?«
»Ich bin ihre Halbschwester. Ich habe sie nur selten gesehen.« Mrs Davis richtete sich auf und verschränkte die Hände. »Und wenn Sie die Wahrheit wissen wollen – sehr freundlich waren die nie zu mir. Für sie war ja alles in Ordnung. Nettes Haus, gute Nachbarschaft. Ein schickes Auto. Alles vom Feinsten. Aber für mich hatten sie nie Zeit. Und nach diesem blöden Unfall … Also, ich weiß nicht, was aus Matthew geworden wäre, wenn Brian und ich nicht gewesen
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