Die Fünf Tore 1 - Todeskreis
Handschellen. Im Fernsehen hatte er schon oft gesehen, wie jemand verhaftet wurde, aber erst jetzt wusste er, was für ein Gefühl es ist, wenn einem jede Freiheit genommen wird. Er war vollkommen wehrlos.
Die beiden Polizisten blieben vor einem Schreibtisch stehen, an dem ein dritter Mann saß und etwas in ein Buch schrieb. Er stellte ihm ein paar Fragen, doch Matt verstand nicht, was er sagte. Er sah, dass sich der Mund des Mannes bewegte. Er hörte auch die Worte, die gesprochen wurden. Aber sie schienen weit entfernt zu sein und ergaben keinen Sinn.
Dann war er wieder in Bewegung und wurde in einen Fahrstuhl geschoben, für den man einen Schlüssel brauchte. Im zweiten Stock führten sie ihn einen weiteren Flur entlang. Matt hielt den Kopf gesenkt und den Blick auf seine Füße gerichtet. Er wollte sich nicht umsehen. Er wollte gar nicht wissen, wo er war.
Sie führten ihn in ein Büro mit einem vergitterten Fenster. Davor standen ein Tisch mit einem Computer und zwei Stühle. Sie schlossen die Handschellen auf, und er nahm erleichtert die Arme nach vorn. Seine Schultern taten weh.
»Setz dich«, sagte einer der Polizisten.
Matt tat, was man ihm sagte.
Es vergingen etwa fünf Minuten. Dann ging die Tür auf, und ein Mann in einem Anzug und einem bunten Hemd mit offenem Kragen kam herein. Er war schwarz und sehr schlank und hatte freundliche, kluge Augen. Er sah ein bisschen netter aus als die beiden anderen, und er war auch jünger. Matt schätzte ihn auf Ende zwanzig.
»Mein Name ist Detective Superintendent Mallory«, sagte er. Er hatte eine angenehme, kultivierte Stimme, wie ein Nachrichtensprecher im Fernsehen. »Geht es dir gut?«
Die Frage überraschte Matt. »Ja.« Mallory setzte sich an den Schreibtisch und tippte etwas in den Computer. »Wie heißt du?«, fragte er. »Matt.«
Mallorys Finger schwebten über der Tastatur. »Ich fürchte, du wirst mir deinen vollen Namen nennen müssen. Ich brauche ihn für meinen Bericht.«
Matt zögerte. Aber ihm war klar, dass er keine Wahl hatte. »Matthew Freeman«, sagte er.
Der Detective tippte seinen Namen ein, drückte die Enter-Taste und las die Informationen, die auf dem Bildschirm auftauchten. »Du hast dir ja schon einen ziemlichen Namen gemacht«, stellte Mallory fest. »Du wohnst in der Eastfield Street 27?«
»Ja.« Matt nickte.
»Bei einem Vormund. Einer Mrs Davis?«
»Das ist meine Tante.«
»Du bist vierzehn.«
»Ja.«
Mallory sah vom Bildschirm auf. »Du steckst in ernsten Schwierigkeiten«, sagte er.
Matt holte tief Luft. »Ich weiß.« Er traute sich fast nicht zu fragen, aber er musste es wissen. »Ist er tot?«
»Der Wachmann, den du niedergestochen hast, hat einen Namen – Mark Adams. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.« Mallory schaffte es nicht, seine Wut zu verbergen. »Er ist im Krankenhaus und wird dort eine ganze Weile bleiben müssen. Aber er wird nicht sterben.«
»Ich habe ihn nicht niedergestochen«, sagte Matt. »Ich wollte nicht, dass jemand verletzt wird. Davon war nie die Rede.«
»Dein Freund Kelvin sagt aber etwas anderes. Er sagt, dass es dein Messer und dein Plan war und dass du derjenige warst, der in Panik geriet, als ihr erwischt wurdet.«
»Er lügt.«
Mallory seufzte. »Ich weiß. Ich habe schon mit dem Wachmann gesprochen, und er hat mir erzählt, was passiert ist. Er hat euch streiten gehört und weiß, dass du derjenige warst, der bleiben wollte. Aber du bist trotzdem mitverantwortlich, Matthew. Du wirst als Mittäter angeklagt werden. Weißt du, was das bedeutet?«
»Werden sie mich ins Gefängnis stecken?«
»Du bist vierzehn. Das ist zu jung fürs Gefängnis. Aber es ist gut möglich, dass du in ein geschlossenes Heim eingewiesen wirst.« Mallory verstummte. Er hatte schon Dutzenden von kriminellen Jugendlichen gegenübergesessen. Sie waren teils aufsässig, teils verheult und voller Selbstmitleid. Aber diesen gut aussehenden, stillen Jungen, der ihm jetzt gegenübersaß, hatte er noch nicht durchschaut. Matt war irgendwie anders, und Mallory fragte sich, was ihn hierhergebracht hatte. »Jetzt ist es zu spät, um über alles zu reden«, sagte er. »Hast du Hunger?«
Matt schüttelte den Kopf. »Brauchst du sonst etwas?«
»Nein.«
»Versuch, nicht allzu viel Angst zu haben. Morgen früh sprechen wir ausführlicher über die Sache. Jetzt musst du erst einmal aus deinen Klamotten raus. Es tut mir wirklich leid, aber jemand wird dabei sein müssen, wenn du dich ausziehst – deine
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