Die Fünfundvierzig
Beleidigung, vor der Ihr mich trotz Eures Mutes nicht beschützen konntet, und die sich unfehlbar erneuern würde, können wir nicht mehr hierherkommen; ich bitte Euch, sucht in der Umgegend ein Haus, das zu verkaufen oder ganz zu mieten ist; seid unbesorgt, binnen kurzem werdet Ihr Nachricht von mir erhalten.«
»Muß ich von Euch Abschied nehmen, Madame?« sagte Ernauton, indem er sich zum Zeichen des Gehorsams gegen die für seine Eitelkeit so schmeichelhaften Befehle verbeugte.
Die Herzogin reichte Ernauton ihre Hand zum Kuß und entfernte sich sodann.
»Das ist in der Tat seltsam,« sagte der junge Mann, als er wieder zurückkehrte, »diese Frau findet Geschmack an mir, daran kann ich nicht zweifeln, und sie fragt nicht im geringsten danach, ob ich von diesem Strauchdieb Sainte-Maline getötet werde.«
Eine leichte Bewegung seiner Schultern bewies, daß der junge Mann diese Gleichgültigkeit zu ihrem wahren Werte anschlug. Dann kam er auf jenes erste Gefühl zurück, das für seine Eitelkeit durchaus nichts Schmeichelhaftes hatte, und fuhr fort: »Oh! sie war sehr beunruhigt, die arme Frau, und die Furcht kompromittiert zu werden, ist bei Prinzessinnen das stärkste von allen Gefühlen.«
»Denn,« fügte er, sich selbst zulächelnd, hinzu, »sie ist Prinzessin.«
Und da dieses letzte Gefühl für ihn das schmeichelhafteste war, so trug es auch den Sieg davon.
Noch es konnte die Erinnerung an die Beleidigung nicht verwischen, die ihm angetan worden war; er kehrte daher geradenwegs in das Wirtshaus zurück, damit niemand das Recht hätte zu vermuten, er habe Furcht vor den Folgen, gehabt, die diese Sache nach sich ziehen könnte.
Er war natürlich entschlossen, alle Befehle und alle Eidezu übertreten und mit Sainte-Maline bei dem ersten Worte, das er sagen, oder bei der ersten Gebärde, die er sich erlauben würde, zu Ende zu kommen.
Durch einen Schlag verletzt, verliehen ihm die Liebe und die Eitelkeit wütenden Mut, der ihm sicher in dem Zustande der Erregung, in dem er sich befand, mit zehn Männern zu kämpfen erlaubt hätte. Dieser Entschluß funkelte in seinen Augen, als er die Schwelle des Gasthofes »Zum kühnen Ritter« berührte.
Frau Fournichon stand ganz zitternd auf der Schwelle.
Bei Ernautons Anblick trocknete sie sich die Tränen ab, als ob sie reichlich geweint hätte, schlang ihre Arme um den Hals des jungen Mannes und bat ihn um Verzeihung, trotz aller Einwendungen ihres Gatten, der behauptete, da sie kein Unrecht getan, so brauche seine Frau auch nicht um Verzeihung zu bitten.
Währenddessen saßen alle wieder bei Tische, und man sprach sehr warm von dem Ereignis, das ohne Widerspruch den Höhepunkt des Abends bildete.
Bei Ernautons Anblick, der wie eine Erscheinung wirkte, fühlte jeder einen Schauer durch seinen ganzen Körper laufen, Ernauton ging gerade auf Sainte-Maline zu, ohne eine, wirkliche Herausforderung, aber mit einer Festigkeit, die mehr als ein Herz zittern ließ.
Als man dies sah, rief man von allen Seiten Herrn von Carmainges zu: »Kommt hierher, Carmainges; kommt daher, Ernauton, es ist ein Platz bei mir.«
»Ich danke,« antwortete der junge Mann, »ich will mich zu Herrn von Sainte-Maline setzen.«
Sainte-Maline stand auf; aller Augen waren auf ihn gerichtet. Noch während er aufstand, veränderte sich der Ausdruck seines Gesichtes völlig, und er sagte ohne Zorn: »Ich will Euch den Platz einräumen, den Ihr zu haben wünscht, und indem ich Euch Platz mache, spreche ich meine offenherzige und aufrichtige Entschuldigung wegen des albernen Angriffs aus, den ich mir vorhin gegen Euch habezuschulden kommen lassen; ich war trunken, Ihr habt es selbst gesagt, verzeiht mir!«
Diese unter dem tiefsten Stillschweigen vorgebrachte Erklärung befriedigte Ernauton durchaus nicht, obgleich offenbar nicht eine Silbe für die dreiundvierzig Gäste verloren gegangen war, die voll Angst warteten, wie diese Szene endigen wurde.
Doch bei Sainte-Malines letzten Worten zeigten Ernauton die Freudenrufe seiner Kameraden, daß er befriedigt sein müsse, und daß er vollkommen gerächt sei. Sein gesunder Verstand nötigte ihn also zu schweigen. Zugleich zeigte ihm aber ein Blick, den er auf Sainte-Maline warf, daß er ihm mehr als je mißtrauen müsse.
»Der Elende hat doch Mut,« sagte Ernauton zu sich selbst, »und wenn er in diesem Augenblick nachgibt, so geschieht es infolge einer abscheulichen Absicht, die ihm mehr einleuchtet.«
Sainte-Malines Glas war voll, er füllte
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