Die Fünfundvierzig
ohne Grund Gewalt antut, und daß ich folglich (er zog rasch seinen Degen) diesen Degen dem ersten in die Brust stoße, der noch einen Schritt vorwärts tut.«
Wütend wollte Sainte-Maline auch den Degen in die Hand nehmen, doch er hatte noch nicht zur Hälfte vom Leder gezogen, als er auf seiner Brust die Degenspitze Ernautons glänzen sah.
Da nun Sainte-Maline in diesem Augenblick einen Schritt vorwärts machte, so fühlte er, ohne daß Herr von Carmainges ausgefallen war oder mit dem Arm zu stoßen nötig gehabt hätte, die Kälte des Eisens aus der Brust und wich wahnsinnig wie ein verwundeter Stier zurück. Ernauton machte denselben Schritt vorwärts, denSainte-Maline rückwärts gemacht hatte, und der Degen fand sich abermals drohend auf der Brust des letzteren. Sainte-Maline erbleichte; wenn Ernauton ausgefallen wäre, hätte er ihn an die Wand gespießt. Er schob langsam seinen Degen in die Scheide.
»Ihr verdientet tausend Tode für Eure Unverschämtheit,« sagte Ernauton; »doch der Schwur, von dem Ihr spracht, bindet mich, und ich werde Euch nicht mehr berühren; laßt mir den Weg frei!«
Er machte einen Schritt rückwärts, um zu sehen, ob man ihm gehorchte, und sagte dann mit majestätischer Gebärde: »Gebt Raum, meine Herren; kommt, Madame, ich stehe für alles.«
Man sah sodann auf der Schwelle des Türmchens eine Frau erscheinen, deren Kopf mit einem Kapuchon bedeckt, deren Gesicht mit einem Schleier verhüllt war, und die ganz zitternd Ernautons Arm nahm. Dann steckte der junge Mann seinen Degen in die Scheide, und als wäre er sicher, daß er nichts mehr zu fürchten habe, durchschritt er stolz das von seinen unruhigen und doch neugierigen Kameraden erfüllte Vorzimmer.
Sainte-Maline, dessen Brust das Eisen leicht gestreift hatte, war, beinahe erstickend an der Schmach, die er vor seinen Kameraden und vor der unbekannten Dame erlitten hatte, bis auf den Ruheplatz der Treppe zurückgewichen. Er begriff, daß er alles gegen sich hatte, Lacher und ernsthafte Menschen, wenn die Dinge blieben, wie sie waren, und diese Überzeugung trieb ihn zum Äußersten an.
Er zog seinen Dolch in dem Augenblick, als Carmainges an ihm vorüberging. Hatte er die Absicht, ihm einen Stoß zu versetzen, oder beabsichtigte er nur zu tun, was er tat? Das ließe sich unmöglich aufklären, ohne in dem finstern Geiste dieses Menschen gelesen zu haben, worin er selbst vielleicht in seinen Augenblicken des Zornes nicht lesen konnte.
So viel ist gewiß, daß sein Arm auf das Paar niedersankund, statt Ernautons Brust zu verletzen, die seidene Haube der Herzogin schlitzte und eine von den Schnüren der Maske durchschnitt, so daß diese zu Boden fiel.
Die Bewegung Sainte-Malines war so rasch gewesen, daß im Schatten niemand sich davon hatte Rechenschaft geben oder widersetzen können. Die Herzogin stieß einen Schrei aus. Ihre Maske fiel, und sie hatte ihren Hals entlang den runden Rücken der Klinge gleiten gefühlt, doch ohne daß sie verwundet worden war.
Sainte-Maline hatte also, während sich Ernauton über den von der Herzogin ausgestoßenen Schrei beunruhigte, Zeit, die Maske aufzuheben und sie ihr zurückzugeben, so daß er bei dem Scheine der Kerze Montcrabeaus das unbedeckte Gesicht der jungen Frau sehen konnte.
»Ah! ah!« sagte er mit seinem höhnischen, frechen Tone, »es ist die schöne Dame der Sänfte; ich mache Euch mein Kompliment, Ernauton, Ihr seid rasch vorwärts gekommen.«
Ernauton blieb stehen und hatte schon seinen Degen wieder halb aus seiner Scheide gezogen, als die Herzogin ihn die Stufen hinabzog und ihm zuflüsterte: »Kommt, kommt, ich bitte Euch, Herr von Carmainges.«
»Ich werde Euch wiedersehen, Herr von Sainte-Maline,« sagte Ernauton, sich entfernend, »und seid unbesorgt, Ihr sollt mir diese Feigheit mit anderen bezahlen.«
»Gut, gut!« erwiderte Sainte-Maline, »haltet Eure Rechnung, ich halte die meinige; wir werden sie eines Tages ordnen.«
Carmainges hörte, wandte sich aber nicht um, denn er konnte die Herzogin nicht im Stich lassen. Als er unten an die Treppe kam, stellte sich ihm niemand in den Weg; die von den Fünfundvierzig, die nicht mit die Treppe hinaufgestiegen waren, tadelten ohne Zweifel im Innern die Gewalttat ihrer Kameraden.
Ernauton führte die Herzogin an ihre von zwei Dienern bewachte Sänfte. Sobald sie sich hier befand und sichin Sicherheit fühlte, drückte sie Carmainges die Hand und sagte: »Herr Ernauton, nach dem, was vorgefallen ist, nach der
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