Die Fünfundvierzig
mich verborgen? Ihr, Ihr, die Hälfte der Seele dessen, für den ich so freudig gestorben war; befehlt also, und ich werde gehorchen, wenn Ihr mir nur nicht befehlt, daß ich Euch verlassen soll.«
»Es sei, Remy, folgt also meinem Schicksal, Ihr habt recht, nichts soll uns mehr trennen.« – Remy deutete auf das Porträt und sagte voll Tatkraft: »Wohl, er ist durch Verrat getötet worden, durch Verrat muß er auch gerächt werden. Ah! Ihr wißt eines nicht, Ihr habt recht,, die Hand Gottes ist mit uns; Ihr wißt nicht, daß ich in dieser Nacht das Geheimnis der Aqua tolana, dieses Giftes der Medici, dieses Giftes von René, dem Florentiner, gefunden habe.«
»Oh! sprichst du wahr?« – »Kommt und seht, edle Frau!«
»Aber Grandchamp, der wartet, was wird er sagen, wenn er uns nicht zurückkommen sieht, wenn er uns nicht mehr hört, denn nicht wahr, du willst mich hinunterführen?« – »Der arme Greis hat sechzig Meilen zu Pferd zurückgelegt; er ist ganz gelähmt durch die Müdigkeit und schon auf meinem Bette entschlummert. Kommt!«
Dritter Band
Das Laboratorium.
Remy führte die Dame in ein anstoßendes Zimmer, drückte an einer unter einem Brette des Bodens verborgenen Feder und ließ eine Falltür spielen, die sich im Zimmer bis an die Wand erhob. Indem sie sich öffnete, ließ diese Falltür eine finstere, steile, schmale Treppe erblicken; Remy trat zuerst darauf und reichte seinen Arm Diana, die sich darauf stützte und hinter ihm hinabstieg.
Zwanzig Stufen dieser Treppe oder, besser gesagt, dieser Leiter führten in ein kreisförmiges, schwarzes, feuchtes Gewölbe, das nichts anderes enthielt, als einen Ofen mit einem ungeheuren Herd, einem viereckigen Tisch, zwei Strohstühle, eine große Menge von Phiolen und blechernen Büchsen und als einzige Bewohner eine Ziege, die nicht meckerte, und Vögel ohne Stimmen, die an diesem dunklen, unterirdischen Orte die Gespenster der Tiere, mit denen sie Ähnlichkeit hatten, und nicht mehr die Tiere selbst zu sein schienen. In dem Ofen erstarb ein Rest von Feuer, während ein dicker, schwarzer Rauch schweigsam durch eine in der Mauer angebrachte Röhre entfloh. Ein auf den Herd gesetzter Destillierkolben ließ langsam und Tropfen für Tropfen eine goldgelbe Flüssigkeit filtrieren. Diese Tropfen fielen in eine zwei Finger dicke, aber zugleich vollkommen durchsichtige Phiole von weißem Glas, die durch die Röhre des Destillierkolbens, die mit ihr in Verbindung stand, geschlossen war.Diana stieg hinab und blieb mitten unter diesen seltsamen Gegenständen und seltsamen Formen ohne Erstaunen und ohne Schrecken stehen; man hätte glauben sollen, die gewöhnlichen Eindrücke des Lebens könnten keinen Einfluß mehr auf die Frau üben, die schon außerhalb des Lebens lebte.
Remy hieß sie durch ein Zeichen am Fuße der Treppe stehenbleiben. Der junge Mann zündete eine Lampe an, die ein bleiches Licht auf alle von uns genannten Gegenstände warf, die bis jetzt in der Finsternis schliefen oder sich bewegten. Dann näherte er sich einem in dem Gewölbe an einer Wand gegrabenen Brunnen, der weder eine Brüstung noch einen Randstein hatte, befestigte einen Eimer an einen langen Strick und ließ diesen Strick in das Wasser hinab, das düster im Grunde dieses Trichters lag und ein dumpfes Platschen hören ließ; endlich zog er den Eimer voll eiskalten und kristallhellen Wassers wieder herauf.
»Nähert Euch, gnädige Frau,« sagte Remy. Diana näherte sich.
In diese ungeheure Menge Wasser ließ er einen einzigen Tropfen von der in der gläsernen Phiole enthaltenen Flüssigkeit fallen, und die ganze Wassermasse erhielt sogleich eine gelbe Farbe; die Farbe verdunstete sodann, und nach Verlauf von zehn Minuten war das Wasser wieder so durchsichtig wie zuvor.
Nur die starren Augen Dianas verrieten die tiefe Aufmerksamkeit, die sie dieser Operation schenkte.
Remy schaute sie an.
»Nun?« fragte sie. – »Taucht nun,« antwortete Remy, »in dieses Wasser, das weder einen Geschmack noch eine Farbe hat, eine Blume, einen Handschuh, ein Taschentuch, knetet mit diesem Wasser wohlriechende Seife, gießt davon in die Wasserkanne, aus der man schöpft, um sich die Zähne, das Gesicht und die Hände zu reinigen, und Ihr werdet, wie man es vor kurzem am Hofe Karls IX. gesehen hat, die Blume durch ihren Wohlgeruch ersticken, den Handschuhdurch seine Berührung vergiften, die Seife durch ihr Eindringen in die Poren töten sehen. Gießt einen einzigen Tropfen von diesem reinen Öl
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