Die Fünfundvierzig
konnte sein Gesicht nicht sehen, da sich dieser Mann, als er mich erblickte, abwandle und die Regenkappe seines Leibrocks auf seine Augen niedergeschlagen hatte.«
»Die Regenkappe seines Leibrocks, sagt Ihr?«
»Ja, er schien ein flämischer Bauer zu sein, und er erinnerte mich, ich weiß nicht warum, an den, der Euch begleitete, als wir uns dort begegneten.«
Henri bebte; diese Bemerkung knüpfte sich für ihn an das unbestimmte, aber hartnäckige Interesse an, das ihm diese Geschichte einflößte; auch ihm, der wußte, daß Diana und ihr Gefährte Aurilly anvertraut waren, war der Gedanke gekommen, die Reisenden, die dem Prinzen den Tod des unglücklichen Flötenspielers verkündigt hatten, seien die beiden ihm Bekannten.
Henri schaute den Fähnrich aufmerksam an und fragte dann: »Und welcher Gedanke kam Euch, als Ihr diesen Mann erkannt zu haben glaubtet?«
»Hört, was ich denke, doch will ich damit nichts bestimmt behaupten. Der Prinz hat ohne Zweifel seinen Absichten auf Flandern nicht entsagt; er unterhält demzufolge Spione; der Mann mit dem wollenen Leibrock ist ein Spion, der auf seiner Reise den Unfall des Musikerserfahren und zwei Nachrichten zu gleicher Zeit überbracht haben wird.«
»Das ist wahrscheinlich,« sagte Henri nachsinnend; »was machte aber dieser Mensch, als Ihr ihn saht?«
»Er ging an der Hecke hin, die das Blumenbeet begrenzt, und schritt auf die Treibhäuser zu.«
»Doch Ihr spracht von zwei Reisenden?«
»Man sagt, man habe zwei Personen hereinkommen sehen; doch mir ist nur eine vor Augen gekommen, der Mann mit dem wollenen Rocke.«
»Demnach würde der Mann mit dem wollenen Rock in den Treibhäusern wohnen?«
»Das ist wahrscheinlich.«
»Und diese Treibhäuser haben einen Ausgang?«
»Gegen die Stadt, ja, Graf.«
Henri blieb einige Zeit schweigsam; sein Herz schlug gewaltig; die für ihn, der bei dieser ganzen geheimnisvollen Geschichte ein doppeltes Gesicht zu haben schien, scheinbar gleichgültigen Umstände hatten ein ungeheures Interesse.
Es war mittlerweile Nacht geworden, und die jungen Leute sprachen miteinander ohne Licht in Joyeuses Wohnung.
Von der Reise ermüdet, durch die seltsamen Ereignisse, die man ihm erzählt hatte, bedrückt, ohne Widerstandskraft gegen die Gemütsbewegungen, die in ihm entstanden waren, hatte sich der Graf auf das Bett seines Bruders zurückgelegt und tauchte seine Blicke mechanisch in den Azur des Himmels, der mit Diamanten bestirnt zu sein schien.
Der junge Fähnrich saß auf dem Rande des Fensters und überließ sich dem Schwunge des Geistes, der Poesie der Jugend, dem alles durchdringenden Wohlbehagen, das die balsamische Frische des Abends verleiht.
Ein großes Stillschweigen lagerte sich über dem Park und der Stadt; nach und nach wurden die Lichter angezündet,die Hunde kläfften in der Ferne in ihren Häusern gegen die Knechte, die am Abend die Ställe zu schließen hatten.
Plötzlich stand der Fähnrich auf, machte mit der Hand ein Zeichen, um die Aufmerksamkeit des Grafen zu erregen, neigte sich zum Fenster hinaus und rief mit leiser Stimme Henri, der auf dem Bette lag, zu: »Kommt, kommt!«
»Was denn?« fragte Henri, plötzlich aus seinem Traume erwachend.
»Der Mann, der Mann!«
»Welcher Mann?«
»Der Mann mit dem wollenen Rock, der Spion!«
»Oh! oh!« machte Henri, indem er vom Bette zum Fenster sprang und sich auf die Schulter des Fähnrichs stützte.
»Seht,« fuhr der Fähnrich fort, »seht Ihr ihn dort? Er geht an der Hecke hin; wartet, er wird wieder erscheinen; schaut in den vom Monde beleuchteten Raum; dort ist er, dort ist er.«
»Sieht er nicht finster aus?«
»Finster, das ist das rechte Wort,« erwiderte du Bouchage, selbst finster werdend.
»Glaubt Ihr, es sei ein Spion?«
»Ich glaube nichts und glaube alles.«
»Seht, er geht vom Pavillon des Prinzen nach den Treibhäusern.«
»Der Pavillon des Prinzen ist also dort?« fragte du Bouchage, indem er mit dem Finger den Punkt bezeichnete, woher der Fremde zu kommen schien.
»Seht jenes Licht, das unter dem Blätterwerk zittert.«
»Nun?« »Das ist der Speisesaal.«
»Ah!« rief Henri, »hier erscheint er wieder.«
»Ja, er kehrt offenbar zu seinem Gefährten in die Treibhäuser zurück; hört Ihr?«»Was!«
»Das Geräusch eines Schlüssels, der im Schlosse gedreht wird.«
»Das ist seltsam,« sagte du Bouchage, »dies alles kann nur etwas sehr Gewöhnliches sein, und dennoch ...«
»Und dennoch schauert Ihr, nicht wahr?«
»Ja,«
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