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Die Furcht des Weisen / Band 1

Die Furcht des Weisen / Band 1

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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verdutzt und runzelte die Stirn. »Hat Laurel dir den Brief etwa nicht gegeben?«
    Ich schüttelte den Kopf, und Anker fluchte. »Dieses Mädchen hat doch wirklich weiter nichts als Watte zwischen den Ohren, verdammt noch mal.« Er kramte hinterm Tresen herum. »Den hat ein Bote vorgestern für dich abgegeben. Ich hab ihr gesagt, sie soll ihn dir sofort geben, wenn du nach Hause kommst. Ah, da ist er ja.« Er zog einen feucht gewordenen und ziemlich beschmutzten Zettel hervor und überreichte ihn mir.
    Darauf stand:
     
    Lieber Kvothe,
    ich bin wieder in der Stadt und würde mich heute beim Abendessen sehr über die Gesellschaft eines charmanten Gentlemans freuen. Leider ist keiner verfügbar. Darf ich Dich in die
FASSDAUBE
einladen?
    Mit erwartungsvollen Grüßen
    D.
     
    Da schöpfte ich frischen Mut. Briefe von Denna waren eine seltene Freude, und sie hatte mich noch nie zu einem Abendessen eingeladen. |336| Es war zwar ärgerlich, dass ich sie verpasst hatte, aber das Wissen, dass sie wieder in der Stadt war und mich sehen wollte, munterte mich erheblich auf.
    Ich schlang mein Mittagsmahl hinunter und beschloss, meine Siaru-Vorlesung sausen zu lassen und stattdessen einen Ausflug nach Imre zu unternehmen. Ich hatte Denna seit über einer Spanne nicht gesehen, und ihre Gegenwart erschien mir als das Einzige, was meine Stimmung jetzt noch retten konnte.
    Meine Begeisterung bekam einen kleinen Dämpfer, als ich den Fluss überquerte. Es war ein langer Marsch, und noch bevor ich bei der Steinbrücke angelangt war, begannen meine Knie zu schmerzen. Zwar schien die Sonne, doch der helle Sonnenschein vermochte nichts gegen den vorwinterlich kalten Wind auszurichten. Straßenstaub wehte mir in die Augen und machte mir das Atmen schwer.
    Denna war in keinem der Gasthäuser, in denen sie normalerweise abstieg. Sie lauschte auch nicht im ZAPFHAHN oder in der BOCKSPFORTE der Musik. Weder Deoch noch Stanchion hatten sie gesehen. Ich fürchtete schon, sie könnte die Stadt bereits wieder verlassen haben. Womöglich blieb sie nun monatelang fort. Womöglich kam sie nie mehr wieder.
    Dann bog ich um eine Ecke und sah sie in einem kleinen Park unter einem Baum sitzen. Sie hielt einen Brief in der einen Hand und einen angebissenen Pfirsich in der anderen. Wo hatte sie so spät im Jahr einen Pfirsich her?
    Ich war schon halb durch den Park und bei ihr, als ich sah, dass sie weinte. Ich blieb abrupt stehen und wusste nicht, was ich tun sollte. Ich wollte ihr helfen, wollte sie aber auch nicht stören.
    »Kvothe!«
    Denna warf den Pfirsichrest beiseite, sprang auf und lief über den Rasen auf mich zu. Sie lächelte, aber ihre Augen waren rot gerändert. Mit einer Hand wischte sie sich über die Wangen.
    »Alles in Ordnung?«, fragte ich.
    Neue Tränen schossen ihr in die Augen, doch bevor sie ihr über die Wangen laufen konnten, kniff sie die Augen zu und schüttelte energisch den Kopf. »Nein«, sagte sie. »Ganz und gar nicht.«
    |337| »Kann ich dir irgendwie helfen?«, fragte ich.
    Denna tupfte sich mit dem Ärmel die Augen trocken. »Du hilfst mir schon, indem du einfach bei mir bist.« Sie faltete den Brief zusammen und steckte ihn ein. Dann lächelte sie wieder, und dieses Lächeln war nicht gezwungen oder maskenhaft. Nein, sie lächelte aufrichtig, und ihr Lächeln war trotz der Tränen wunderschön.
    Dann aber neigte sie den Kopf zur Seite und sah mich aufmerksam an, und ihr Lächeln wich einem besorgten Blick. »Und wie geht’s dir?«, fragte sie. »Du siehst abgehärmt aus.«
    Ich lächelte matt. Mein Lächeln
war
gezwungen, und das wusste ich. »Ich hab’s in letzter Zeit nicht ganz leicht gehabt.«
    »Es geht dir hoffentlich nicht so schlecht, wie du aussiehst«, sagte sie liebevoll. »Hast du nicht genug Schlaf bekommen?«
    »Nein«, gestand ich.
    Denna setzte schon an, etwas zu sagen, hielt dann aber inne und biss sich auf die Lippen. »Möchtest du darüber reden?«, fragte sie. »Ich weiß nicht, ob ich dir irgendwie helfen kann, aber …« Sie zuckte die Achseln. »Ich schlafe zur Zeit auch schlecht. Ich weiß, wie das ist.«
    Ihr Angebot, mir zu helfen, traf mich unvorbereitet. Ich fühlte mich dabei … Ich kann nicht genau beschreiben, wie ich mich dabei fühlte. Es lässt sich nicht so einfach in Worte fassen.
    Es war nicht das Hilfsangebot selbst. Auch meine Freunde hatten mir in den vergangenen Tagen unermüdlich geholfen. Aber Sims Bereitschaft, mir zu helfen, war etwas anderes, war so verlässlich und

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