Die Furcht des Weisen / Band 1
sie mit gespielter Bescheidenheit. »Ich hatte ein bisschen war beiseite gelegt.«
Ich fuhr mit der Hand über das Samtfutter. »Nein, ich meine das im Ernst. Dieser Kasten muss doch so viel gekostet haben wie meine |342| Laute …« Ich verstummte, und der Magen krampfte sich mir zusammen. Die Laute, die ich gar nicht mehr besaß.
»Wenn Ihr mir die Bemerkung gestattet, Sir«, sagte der Mann hinter dem Ladentresen. »Wenn diese Laute nicht gerade aus massivem Silber besteht, dürfte der Kasten deutlich kostspieliger sein.«
Ich fuhr mit beiden Händen über den Deckel und fühlte mich immer elender. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Wie sollte ich ihr, nachdem sie dieses wunderschöne Geschenk für mich hatte anfertigen lassen, gestehen, dass meine Laute geraubt worden war?
Denna lächelte aufgeregt. »Dann wollen wir doch mal sehen, wie deine Laute hineinpasst!«
Sie machte eine Handbewegung, und daraufhin holte der Mann meine Laute unter dem Tresen hervor und legte sie in den Kasten. Sie passte perfekt hinein.
Ich brach in Tränen aus.
»Oh Gott, ist mir das peinlich«, sagte ich und schnäuzte mich in ein Taschentuch.
Denna berührte mich sacht am Arm. »Es tut mir so leid«, sagte sie zum vierten Mal.
Wir saßen auf dem Bordstein vor dem kleinen Laden. Es war schon schlimm genug, dass ich vor Denna losgeheult hatte wie ein Schlosshund, da wollte ich mich nicht auch noch unter den Augen des Ladeninhabers wieder beruhigen.
»Ich wollte nur sichergehen, dass sie gut hineinpasst«, sagte Denna mit schmerzerfülltem Blick. »Und dann habe ich dir den Brief geschrieben. Du solltest zum Abendessen kommen, und dabei hätte ich dich damit überrascht. Du hättest gar nicht bemerken sollen, dass die Laute weg war.«
»Es ist schon gut«, sagte ich.
»Offensichtlich nicht«, erwiderte sie, und nun kamen auch ihr die Tränen. »Als du nicht kamst, wusste ich nicht, was ich tun sollte. Ich habe gestern Abend überall nach dir gesucht. Ich habe an deine Tür |343| geklopft, aber es kam keine Antwort.« Sie sah verlegen auf ihre Füße. »Nie finde ich dich, wenn ich nach dir suche.«
»Denna«, sagte ich. »Es ist alles in Ordnung.«
Sie schüttelte energisch den Kopf und wich meinem Blick aus, und Tränen liefen ihr über die Wangen. »Es ist nicht in Ordnung. Ich hätte es wissen müssen. Du hältst diese Laute in den Händen, als wäre sie dein Kind. Wenn mich jemals in meinem Leben jemand so angesehen hätte, wie du diese Laute ansiehst …«
Ihr versagte die Stimme, und sie schluckte, ehe die Worte wieder aus ihr hervorströmten. »Ich wusste ja, dass sie für dich das Wichtigste im Leben ist. Deshalb wollte ich dir etwas schenken, worin du sie sicher aufbewahren kannst. Ich bin bloß nicht auf den Gedanken gekommen, dass …« Sie schluckte erneut und ballte die Hände zu Fäusten. Sie war am ganzen Körper so angespannt, dass sie beinahe bebte. »Oh Gott. Ich bin so dumm! Nie denke ich nach. Das passiert mir immer wieder. Ich mache immer alles kaputt.«
Das Haar war ihr vors Gesicht gefallen, so dass ich es nicht mehr sehen konnte. »Was stimmt denn bloß nicht mit mir?«, fragte sie leise. »Wieso bin ich so ein Idiot? Wieso kann ich im Leben nicht ein Mal etwas richtig machen?«
»Denna.« Ich musste sie unterbrechen, denn sie hielt kaum inne, um Luft zu holen. Ich legte ihr eine Hand auf den Arm, und sie hielt inne und schwieg. »Denna, das konntest du unmöglich wissen«, sagte ich. »Wie lange spielst du jetzt ein Instrument? Seit einem Monat? Und hast du jemals selbst ein Instrument besessen?«
Sie schüttelte den Kopf. Ihr Gesicht war immer noch unter ihrem Haar verborgen. »Ich hatte damals diese Leier«, sagte sie. »Aber die hatte ich erst seit ein paar Tagen, als das Haus niederbrannte.« Nun blickte sie endlich wieder auf, und ihr Gesicht war ein Bild des Jammers. Augen und Nase waren gerötet. »So was passiert mir ständig. Ich will etwas Gutes tun, aber dann geht irgendwie alles schief.« Sie sah mich zerknirscht an. »Du weißt nicht, wie das ist.«
Ich lachte. Es war ein erstaunlich schönes Gefühl, wieder einmal zu lachen. Das Gelächter kam tief aus meinem Bauch und scholl aus meiner Kehle hervor wie die Klänge eines goldenen Horns. Dieses |344| Lachen allein war so wertvoll wie drei warme Mahlzeiten und zwanzig Stunden Schlaf.
»Ich weiß ganz genau, wie das ist«, sagte ich und spürte die Schmerzen in meinen Knien und die halb verheilten Narben auf meinem Rücken.
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