Die Furcht des Weisen / Band 1
elementar wie Brot. Aber zu wissen, dass Denna sich um mich sorgte – das war wie ein Schluck warmer Wein in einer Winternacht. Wohlige Wärme erfüllte meine Brust.
Ich lächelte sie an – mit einem richtigen Lächeln. Dieser Ausdruck fühlte sich auf meinem Gesicht geradezu seltsam an, und ich fragte mich, wie lange ich wohl schon ununterbrochen finster dreingeschaut hatte, ohne es zu bemerken. »Du hilfst mir schon, indem du einfach nur hier bist«, sagte ich ganz aufrichtig. »Dich einfach nur zu sehen, wirkt Wunder, was meine Stimmung angeht.«
Sie verdrehte die Augen. »Aber klar doch. Der Anblick meines verheulten Gesichts ist ja das Allheilmittel schlechthin.«
|338| »Es gibt da gar nicht viel zu bereden«, sagte ich. »Ich hatte Pech, und dann kamen auch noch ein paar Fehlentscheidungen dazu, und jetzt bezahle ich den Preis dafür.«
Denna schnaubte halb belustigt, halb schwermütig. »So was ist mir natürlich noch nie passiert«, sagte sie mit einem ironischen Zug um den Mund. »Das ist am schlimmsten: Wenn man eine Dummheit begangen hat und selbst schuld daran ist. Nicht wahr?«
»Ja«, sagte ich. »Aber ehrlich gesagt wäre mir jetzt ein wenig Ablenkung fast lieber als ein offenes Ohr.«
»Auch das kann ich dir bieten«, sagte sie und nahm meinen Arm. »Das hast du ja weiß Gott auch schon oft genug für mich getan.«
Ich ging neben ihr her. »Habe ich das?«
»Unzählige Male«, sagte sie. »Es vergisst sich leicht, wenn ich dich um mich habe.« Sie blieb stehen, und da sie sich bei mir untergehakt hatte, musste ich auch stehen bleiben. »Nein, das ist nicht richtig. Ich wollte sagen: Wenn ich dich um mich habe, fällt das Vergessen leicht.«
»Vergessen? Was denn vergessen?«
»Alles«, sagte sie und klang dabei gar nicht mehr so neckisch. »Die ganzen unangenehmen Dinge in meinem Leben. Wer ich bin. Es ist schön, wenn man ab und zu mal gewissermaßen von sich selbst freinehmen kann, und dabei hilfst du mir. Du bist mein sicherer Hafen an der unendlich großen, stürmischen See.«
Da musste ich lachen. »Bin ich das?«
»Ja, das bist du«, sagte sie. »Du bist meine Schatten spendende Weide an einem sonnigen Tag.«
»Und du«, sagte ich, »bist wie schöne Musik in einem fernen Zimmer.«
»Das ist gut«, sagte sie. »Du bist wie ein Kuchen, den man an einem verregneten Nachmittag unerwarteterweise geschenkt bekommt.«
»Und du bist der Wickel, der das Gift aus meinem Herzen zieht«, sagte ich.
»Hm.« Denna guckte skeptisch. »Also, ich weiß nicht. Ein Herz voller Gift, das ist keine sehr reizvolle Vorstellung.«
»Ja, stimmt«, sagte ich. »Das habe ich auch gerade bemerkt, als ich’s ausgesprochen habe.«
|339| »So was nennt man Metaphernsalat«, sagte sie. Und dann: »Hast du meinen Brief gekriegt?«
»Ich habe ihn leider heute erst bekommen«, sagte ich und ließ mein ganzes Bedauern in meinen Tonfall einfließen. »Vor ein paar Stunden erst.«
»Ach so«, sagte sie. »Sehr schade. Das Essen war wirklich gut. Ich hab deine Portion mit verputzt.«
Ich suchte nach Worten, aber sie lächelte nur und schüttelte den Kopf. »Ich zieh dich doch bloß auf. Das Abendessen war eigentlich nur ein Vorwand. Ich habe nämlich etwas, das ich dir zeigen möchte. Und du bist schwierig aufzutreiben. Ich dachte schon, ich müsste bis morgen warten, wenn du wieder im ANKER’S auftrittst.«
Der Gedanke daran versetzte mir einen solchen Stich, dass nicht einmal Dennas Gegenwart mich gänzlich darüber hinwegtrösten konnte. »Dann ist es umso mehr ein Glück, dass wir uns heute sehen«, sagte ich. »Ich weiß nämlich noch gar nicht, ob ich morgen überhaupt auftreten werde.«
Sie sah mich fragend an. »Aber du singst da doch immer am Fellingabend. Ändere das bitte nicht. Es ist für mich schon schwierig genug, dich zu finden.«
»Du musst gerade reden«, sagte ich. »Dich finde ich doch nie zweimal am gleichen Ort.«
»Ja, du machst natürlich nie was anderes als nach mir zu suchen«, erwiderte sie wegwerfend und setzte dann ein aufgeregtes Lächeln auf. »Aber darum geht’s jetzt nicht. Komm. Ich habe etwas, das dich garantiert ablenken wird.« Sie ging schneller und zog mich am Arm.
Ihre Begeisterung war ansteckend, und ich ertappte mich dabei, ebenfalls zu lächeln, während ich ihr durch die Straßen und Gassen von Imre folgte.
Wir blieben schließlich vor einem kleinen Laden stehen. Denna stellte sich vor mich, ganz außer sich vor Aufregung. Dass sie gerade noch geweint
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