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Die Furcht des Weisen / Band 1

Die Furcht des Weisen / Band 1

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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vermag. »Feuer! Feuer!«
    Jedermann im Saal erstarrte einen Moment lang. So ist es immer, wenn Menschen erschreckt und verwirrt sind. Sie nehmen sich eine Sekunde Zeit, um sich umzusehen, nach einem ungewöhnlichen Geruch |369| zu schnuppern und »Hat da gerade jemand ›Feuer‹ gerufen?« zu denken – oder: »Feuer? Wo? Hier?«
    Ich zögerte nicht. Vielmehr sprang ich auf und sah mich hektisch und gut sichtbar um, wollte offensichtlich erkennen, wo es brannte. Als sich dann alle anderen im Gastraum in Bewegung setzten, rannte ich bereits die Treppe hinauf.
    »Feuer!«, drangen weiter die Schreie von draußen herein. »Oh Gott, es brennt!«
    Ich lächelte, als ich hörte, wie Basil seinen kleinen Part ein wenig übertrieb. Ich kannte ihn nicht gut genug, um ihn in den ganzen Plan einzuweihen, aber es war von entscheidender Bedeutung, dass jemand den Brand frühzeitig bemerkte, damit ich sogleich in Aktion treten konnte. Ich wollte nun wirklich nicht versehentlich das halbe Gasthaus niederbrennen.
    Am oberen Treppenabsatz angelangt, sah ich mich auf dem Korridor um. Hinter mir hörte ich bereits weitere Leute die Treppe herauflaufen. Einige Hotelgäste öffneten ihre Türen und spähten heraus.
    Unter der Tür zu Ambroses Gemächern waberte ein wenig Rauch hervor. Perfekt!
    »Da brennt es!«, rief ich, lief zu der Tür und griff in meinen Umhang.
    Während der langen Suche in der Bibliothek war ich auf Erwähnungen zahlreicher interessanter Stücke magischer Handwerkskunst gestoßen. Eins davon war der sogenannte Belagerungsstein.
    Er funktioniert nach den grundlegenden Prinzipien der Sympathie. Eine Armbrust speichert Energie und nutzt sie, um einen Bolzen mit hoher Geschwindigkeit über große Entfernungen zu verschießen. Ein Belagerungsstein ist ein mit Sygaldrie versehener Bleigegenstand, der ebenfalls Energie speichert und sie dazu nutzt, um sich selbst mit der Wucht eines Rammbocks fortzubewegen, und zwar gut zwei Handbreit weit.
    Nun in der Mitte des Korridors, warf ich mich mit der Schulter gegen Ambroses Tür. Ich schlug dabei auch mit dem Belagerungsstein dagegen, den ich auf der flachen Hand unter dem Umhang verborgen hielt.
    |370| Die massive Holztür gab nach wie ein Fass, das von einem Schmiedehammer getroffen wird. Die Augenzeugen auf dem Korridor waren schwer verblüfft. Ich eilte hinein und versuchte krampfhaft, mir das Grinsen zu verkneifen.
    In Ambroses Wohnzimmer war es dunkel, auch aufgrund des Rauchschleiers, der dort in der Luft hing. Links sah ich flackernden Feuerschein. Von meinem vorherigen Besuch wusste ich, dass es dort zu seinem Schlafzimmer ging.
    »Hallo?«, rief ich. »Ist jemand verletzt?« Ich ließ meine Stimme entschlossen, aber auch besorgt klingen. Keine Panik. Natürlich nicht. Ich war ja schließlich in dieser ganzen Szene der Held.
    Im Schlafzimmer stand dichter Rauch, der die Flammen fast verbarg und mir in den Augen brannte. Eine riesige Kommode stand an der Wand, so groß wie eine Werkbank im Handwerkszentrum. Aus einigen der geschlossenen Schubladen züngelten Flammen hervor. Offenbar verwahrte Ambrose seine Puppe von mir tatsächlich zwischen seinen Socken.
    Ich schnappte mir einen Stuhl und schlug damit das Fenster ein, durch das ich etliche Nächte zuvor in dieses Zimmer eingestiegen war. »Vorsicht da unten!«, schrie ich hinaus.
    Die Schublade ganz links unten schien am heißesten zu brennen, und als ich sie aufriss, gingen die darin vor sich hin schwelenden Kleidungsstücke durch den Zustrom frischer Luft in Flammen auf. Ich roch versengtes Haar und hoffte, dass ich mir nicht etwa die Augenbrauen abgefackelt hatte. Schließlich wollte ich nicht den ganzen nächsten Monat lang mit einem entstellten Gesichtsausdruck herumlaufen.
    Nach diesem ersten Auflodern nahm ich meinen Mut zusammen und riss die schwere Schublade mit bloßen Händen aus der Kommode heraus. Sie war voller schwelender, geschwärzter Kleidungsstücke, doch als ich damit zum Fenster lief, hörte ich darin auch etwas Schweres gegen den hölzernen Schubladenboden poltern. Es fiel heraus, als ich die ganze Schublade aus dem Fenster schmiss, und als der Wind die Kleidungsstücke erfasste, wurden sie endgültig ein Raub der Flammen.
    Als Nächstes riss ich die Schublade ganz rechts oben heraus. Dichter |371| Rauch quoll aus der Lücke hervor. Da diese beiden Schubladen nun herausgezogen waren, bildeten die Hohlräume innerhalb der Kommode eine Art Kamin und lieferten dem Feuer so viel Luft, wie es nur

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