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Die Furcht des Weisen / Band 1

Die Furcht des Weisen / Band 1

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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genommen, den du |383| mir geschenkt hast, und außerdem hab ich jeden Abend ein Nachtgebet gesprochen, und dann sind die bösen Träume weggegangen.« Sie nestelte an einer kleinen Metallscheibe herum, die ihr an einem Lederband um den Hals hing.
    Mit plötzlichen Schuldgefühlen wurde mir bewusst, dass ich Meister Kilvin versehentlich belogen hatte. Ich hatte zwar niemandem einen Zauber verkauft oder gar etwas hergestellt, das man für einen solchen halten konnte. Ich hatte aber Nina ein graviertes Metallstück geschenkt und ihr, um sie zu beruhigen, eingeredet, dass es sich um einen Talisman handelte. Sie war zuvor fast in Hysterie verfallen, weil sie fürchtete, Dämonen wollten sie ermorden.
    »Es hat also gewirkt?«, fragte ich.
    Sie nickte. »Nachdem ich mir das unters Kissen gelegt und immer mein Nachtgebet gesprochen hab, hab ich geschlafen wie ein Murmeltier. Und dann ging es los, dass ich diesen ganz besonderen Traum bekam«, sagte sie und lächelte mich an. »Ich hab von der Vase geträumt, die Jimmy mir gezeigt hat, bevor damals die Leute auf der Mauthen-Farm ums Leben gekommen sind.«
    Da spürte ich Hoffnung in mir aufkeimen. Nina war die einzige Überlebende, die diese uralte Vase mit eigenen Augen gesehen hatte. Sie war mit Bildern der Chandrian bemalt, und die Chandrian sind sehr darauf bedacht, ihre Geheimnisse zu hüten.
    »Ist dir noch etwas eingefallen zu dieser Vase, auf der sieben Personen abgebildet waren?«, fragte ich aufgeregt.
    Sie zögerte und runzelte die Stirn. »Es waren acht«, sagte sie. »Nicht sieben.«
    »Acht?«, fragte ich. »Bist du sicher?«
    Sie nickte. »Ich dachte, das hätte ich dir gesagt.«
    Die Hoffnung fiel wieder in sich zusammen, und stattdessen bekam ich ein sehr ungutes Gefühl in der Magengegend. Die Chandrian bestanden aus sieben Personen. Das zählte zu den wenigen Dingen, die ich mit Sicherheit über sie wusste. Wenn auf der bemalten Vase, die Nina gesehen hatte, acht Personen abgebildet waren …
    Nina erzählte weiter, ohne meine Enttäuschung zu bemerken: »Ich habe drei Nächte hintereinander von dieser Vase geträumt«, sagte sie. »Und es waren wirklich keine bösen Träume. Ich bin hinterher |384| ausgeruht und fröhlich aufgewacht. Und da wusste ich, was Gott mir sagen wollte, was ich tun soll.«
    Sie wühlte in ihren Taschen herum und zog einen polierten Horngegenstand hervor, der etwa eine Handspanne lang war und so dick wie mein Daumen. »Ich wusste ja noch, wie neugierig du auf diese Vase warst. Aber ich konnte dir nicht viel darüber sagen, denn ich hatte sie ja nur ganz kurz gesehen.« Stolz überreichte sie mir den Gegenstand.
    Ich betrachtete das zylindrische Ding in meinen Händen und wusste nicht recht, was ich damit sollte. Ich sah sie verwirrt an.
    Nina seufzte ungeduldig und nahm mir das Ding wieder weg. Sie drehte daran, und das eine Ende löste sich, wie eine Kappe. »Das hat mein Bruder für mich gemacht«, sagte sie und zog dann vorsichtig ein zusammengerolltes Stück Pergament aus dem hohlen Horn hervor. »Aber keine Sorge, er weiß nicht, was ich damit mache.«
    Sie gab mir das Pergament. »Es ist nicht besonders gut«, sagte sie nervös. »Ich darf meiner Mutter manchmal helfen, wenn sie Vasen bemalt, aber das hier ist was anderes. Menschen sind schwieriger zu malen als Blumen oder Muster. Und es ist ganz schön schwierig, was richtig hinzukriegen, das man nur im Kopf hat.«
    Ich war erstaunt, dass mir nicht die Hände zitterten. »Das ist es, was auf der Vase abgebildet war?«, fragte ich.
    »Auf der einen Seite«, sagte sie. »Von so was Rundem sieht man nur etwa ein Drittel, wenn man es von einer Seite anguckt.«
    »Dann hast du also jede Nacht von einer anderen Seite geträumt?«, fragte ich.
    Sie schüttelte den Kopf. »Nein, immer nur von dieser Seite. Drei Nächte hintereinander.«
    Ich entrollte das Pergament ganz langsam und erkannte sofort den Mann, den Nina gemalt hatte. Seine Augen waren vollkommen schwarz. Im Hintergrund befand sich ein kahler Baum, und der Mann stand auf einem blauen Kreis mit einigen wellenförmigen Linien darin.
    »Das soll Wasser sein«, sagte Nina und zeigte darauf. »Aber Wasser zu malen ist echt schwer. Er soll jedenfalls darauf stehen. Rings um ihn her waren auch Schneewehen, und sein Haar war weiß. Ich |385| hab aber die weiße Farbe nicht hingekriegt. Farben fürs Malen auf Papier zu mischen ist viel schwieriger als bei Keramik.«
    Ich nickte, wagte nicht, etwas zu sagen. Das war Cinder, der

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