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Die Furcht des Weisen / Band 1

Die Furcht des Weisen / Band 1

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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dem
Buch des Weges
herausgeschnitten?«, fragte ich entgeistert. Ich bin ja nicht sonderlich religiös, habe aber doch ein rudimentäres Gespür dafür, was sich schickt und was nicht. Und nachdem ich so viel Zeit in der Universitätsbibliothek verbracht hatte, erschien mir der Gedanke, Seiten aus einem Buch herauszuschneiden, schlichtweg grauenerregend.
    Nina nickte unbekümmert. »Das schien mir das Beste, denn es war ja schließlich ein Engel, der mir diesen Traum eingegeben hat. Sie können die Kirche über Nacht nicht mehr richtig abschließen, denn du hast ja das halbe Portal zum Einsturz gebracht, um diesen Dämon zu töten.« Sie fuhr vorsichtig mit einem Finger über das Bild. »Das ist nicht schwierig. Man muss nur ein Messer nehmen und ein bisschen schaben, und dann gehen die ganzen Worte ab. Ich hab aber aufgepasst, dass ich Tehlus Name nicht abschabe. Und auch nicht den von Andan und den anderen Engeln«, fügte sie in frommem Tonfall hinzu.
    Ich sah es mir noch einmal genauer an, und so war es tatsächlich. Sie hatte den Amyr so gemalt, dass sich die Worte
Andan
und
Ordal
direkt oberhalb seiner Schultern befanden. Fast als hätte sie gehofft, diese Namen würden ihn niederdrücken oder irgendwie bannen.
    »Und außerdem hattest du ja gesagt, dass ich keinem erzählen soll, was ich da gesehen hab«, sagte sie. »Und Malen ist ja gewissermaßen auch Erzählen, bloß mit Bildern statt mit Worten. Und da hab ich gedacht, es ist doch sicherer, wenn ich dazu Seiten aus Tehlus Buch nehme, denn kein Dämon würde sich ja jemals Seiten aus diesem Buch ansehen. Schon gar nicht, wenn Tehlus Name immer noch drauf steht.« Sie sah mich voller Stolz an.
    |388| »Das war sehr klug von dir«, sagte ich anerkennend.
    Da begann der Glockenturm die Stunde zu schlagen, und auf Ninas Gesicht machte sich Panik breit. »Oh nein!«, sagte sie. »Um diese Uhrzeit sollte ich schon wieder am Hafen sein. Meine Mutter wird mich grün und blau prügeln!«
    Ich lachte. Zum einen, weil ich vollkommen verblüfft über diesen Glücksfall war, und zum anderen, weil ein Mädchen, das den Mut besaß, den Chandrian zu trotzen, dennoch eine solche Angst davor hatte, den Unmut ihrer Mutter auf sich zu ziehen. Tja, so kann’s gehen …
    »Nina, du hast mir einen unglaublich großen Gefallen erwiesen. Wenn ich irgendwann mal irgendwas für dich tun kann, oder falls du noch so einen Traum haben solltest: Du findest mich in einem Wirtshaus namens ANKER’S. Ich wohne da und trete da auch als Musiker auf.«
    Da bekam sie große Augen. »Ist es magische Musik?«
    Ich lachte. »Manche Leute würden jetzt wahrscheinlich ja sagen.«
    Sie blickte sich nervös um. »Ich muss jetzt aber wirklich los!«, sagte sie, winkte noch einmal zum Abschied und lief dann in Richtung Fluss, und der Wind wehte ihr die Kapuze vom Kopf.
    Ich rollte das Pergament vorsichtig wieder zusammen und steckte es zurück in das Futteral aus Horn. Mir war geradezu schwindelig von all den Dingen, die ich soeben erfahren hatte. Und ich dachte daran, was ich Haliax vor all den Jahre zu Cinder hatte sagen hören:
Wer schützt dich vor den Amyr? Den Sängern? Den Sithe
?
    Nach den monatelangen Recherchen war ich mir ziemlich sicher, dass die Universitätsbibliothek über die Chandrian weiter nichts als Märchen zu bieten hatte. Niemand glaubte, dass sie realer waren als Butzemänner oder Feen.
    Die Amyr aber waren allgemein bekannt. Sie waren die edlen Ritter des Aturischen Reichs gewesen. Zweihundert Jahre lang hatten sie als starke Hand der Kirche fungiert. Es gab hunderte Erzählungen und Lieder über sie.
    Ich hatte die Geschichtsbücher gelesen. Die Amyr waren in der Frühzeit des Aturischen Reichs von der Tehlanerkirche gegründet worden.
    |389| Die Vase aber, die Nina gesehen hatte, war viel älter gewesen.
    Ich hatte die Geschichtsbücher gelesen. Die Amyr waren, noch ehe das Reich unterging, von der Kirche mit einem Bann belegt und aufgelöst worden.
    Ich wusste aber andererseits auch, dass die Chandrian sie immer noch fürchteten.
    An dieser ganzen Geschichte schien noch einiges mehr dran zu sein.

|390| Kapitel 36
Wissen
    E inige Tage später lud ich Wil und Sim auf die andere Seite des Flusses ein, um unseren siegreichen Feldzug gegen Ambrose zu feiern.
    Angesichts meiner Vorliebe für Sounten war ich beileibe kein großer Trinker, aber Wil und Sim waren so freundlich, mich in die diesbezüglichen Feinheiten einzuweihen. Wir kehrten, nur der Abwechslung halber, in etlichen

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