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Die Furcht des Weisen / Band 1

Die Furcht des Weisen / Band 1

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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um ihren Kopf schwebte und beim leichtesten Lufthauch in Bewegung geriet.
    Vorsichtig trat ich in die Mitte einer breiten Zinnfläche. Das Blech gab unter meinem Fuß einen leisen Ton von sich, wie ein ferner, gedämpfter Basstrommelschlag. Auris Füße hielten beim Baumeln inne, und sie verharrte so starr wie ein aufgeschrecktes Kaninchen. Dann sah sie mich und lächelte. Ich winkte ihr zu.
    Auri sprang von dem Schornstein herab und kam zu mir gehüpft. »Hallo, Kvothe.« Sie wich einen halben Schritt zurück. »Du stinkst.«
    Ich setzte mein schönstes Lächeln auf. »Hallo, Auri«, sagte ich. »Und du duftest wie ein hübsches, junges Mädchen.«
    »Ja, das stimmt«, erwiderte sie fröhlich.
    Sie trat ein wenig beiseite, dann wieder vor, wobei sie sich fast |55| lautlos auf den Fußballen fortbewegte. »Was hast du mir denn mitgebracht?«, fragte sie.
    »Was hast
du
mir denn mitgebracht?«, konterte ich.
    Sie grinste. »Ich habe einen Apfel, der sich für eine Birne hält«, sagte sie und hielt ihn empor. »Und ein Brötchen, das sich für eine Katze hält. Und einen Kopfsalat, der sich für einen Kopfsalat hält.«
    »Dann ist es ein kluger Kopfsalat.«
    »Wohl kaum«, sagte sie mit einem zarten Schnauben. »Wieso sollte jemand, der klug ist, glauben, er wäre ein Kopfsalat?«
    »Selbst wenn er ein Kopfsalat ist?«, fragte ich.
    »Dann erst recht«, erwiderte sie. »Es ist doch schon schlimm genug, ein Kopfsalat zu sein. Wie schrecklich ist es da erst, wenn man sich auch noch für einen hält.« Sie schüttelte mit betrübter Miene den Kopf, und ihr Haar folgte der Bewegung, als wäre sie unter Wasser.
    Nun schnürte ich mein Päckchen auf. »Ich habe dir ein paar Kartoffeln mitgebracht, einen halben Kürbis und eine Flasche Bier, die sich für einen Laib Brot hält.«
    »Und wofür hält sich der Kürbis?«, fragte sie neugierig und sah ihn an. Sie hielt die Hände hinterm Rücken verschränkt.
    »Er weiß, dass er ein Kürbis ist«, sagte ich. »Aber er tut so, als wäre er die untergehende Sonne.«
    »Und die Kartoffeln?«, fragte sie.
    »Die schlafen«, sagte ich. »Und sie sind kalt – fürchte ich.«
    Da sah sie mit sanftem Blick zu mir hoch. »Fürchte dich nicht«, sagte sie und legte mir einen Herzschlag lang eine Hand an die Wange, eine Berührung, zarter als die einer Feder. »Ich bin ja da. Du bist in Sicherheit.«

    Die Nacht war kühl, und statt auf dem Dach zu speisen, wie wir es oft taten, führte mich Auri daher hinter das eiserne Entwässerungsgitter in das ausgedehnte Höhlen- und Tunnelsystem unter der Universität.
    Sie trug die Flasche und hielt etwas von der Größe einer Münze in die Höhe, das ein grünliches Licht abgab. Ich trug die Schale und die |56| Sympathielampe, die ich selbst gebaut hatte – diejenige, die Kilvin als »Diebeslampe« bezeichnet hatte.
    Auri führte mich in einen Tunnel, an dessen Wänden die unterschiedlichsten Rohre entlang liefen. Einige der größeren beförderten Wasserdampf, und obwohl sie mit Dämmstoff umwickelt waren, ging eine beständige Wärme von ihnen aus. Auri legte die Kartoffeln behutsam in eine Krümmung des Rohrs, in der das Dämmmaterial abgelöst war und die eine Art kleinen Ofen bildete.
    Mein Sackleinen als Tisch und Tischtuch nutzend, ließen wir uns auf dem Boden nieder und begannen unser Abendessen. Das Brötchen war schon ein wenig altbacken, enthielt aber Nüsse und Zimt. Der Kopfsalat hingegen war erstaunlich frisch, und ich fragte mich, wo sie den wohl herhatte. Sie gab mir eine Teetasse aus Porzellan und trank selbst aus einem metallenen Bettlerbecher. Das Bier goss sie so feierlich ein, als wäre es Tee, den sie einem König kredenzte.
    Beim Essen wurde nicht gesprochen. Das war eine der Regeln, die ich durch Ausprobieren hatte lernen müssen. Keine Berührungen. Keine abrupten Bewegungen. Keine auch nur entfernt persönlichen Fragen. Ich durfte mich nicht nach dem Kopfsalat oder der grünen Münze erkundigen. So etwas hätte zur Folge gehabt, dass sie sich in das Tunnelsystem davongemacht und ich sie tagelang nicht mehr zu Gesicht bekommen hätte.
    Ehrlich gesagt wusste ich nicht mal ihren richtigen Namen. Ich hatte mir nur angewöhnt, sie Auri zu nennen. Insgeheim aber nannte ich sie »meine kleine Mondfee«.
    Auri machte wie stets beim Essen eine grazile Figur. Sie saß aufrecht und nahm kleine Bissen. Sie hatte einen Löffel, mit dem wir abwechselnd von dem Kürbis aßen.
    »Du hast deine Laute gar nicht mitgebracht«, sagte

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