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Die Furcht des Weisen / Band 1

Die Furcht des Weisen / Band 1

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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sie, als wir aufgegessen hatten.
    »Ich muss heute Nacht noch viel lesen«, erwiderte ich. »Aber ich bringe sie bald mal wieder mit.«
    »Wie bald?«
    »In sechs Tagen.« Dann hatte ich meine Zulassungsprüfung hinter mir.
    |57| Ihr kleines Gesicht blickte missbilligend. »Sechs Tage ist nicht bald«, sagte sie. »Morgen ist bald.«
    »Für einen Stein ist sechs Tage bald.«
    »Dann spiel doch in sechs Tagen für einen Stein. Und morgen spielst du für mich.«
    »Ich glaube, du kannst sechs Tage lang ein Stein sein«, erwiderte ich. »Das ist jedenfalls besser, als ein Kopfsalat zu sein.«
    »Das stimmt«, sagte sie und lächelte.
    Nachdem wir auch den Apfel aufgegessen hatten, führte mich Auri durch das Unterding. Wir gingen schweigend den Nickweg entlang, hüpften durch Hopse und gelangten schließlich nach Schwaden, ein Labyrinth von Gängen, in denen stets ein leichter Wind wehte. Ich hätte mich dort wahrscheinlich auch allein zurechtgefunden, aber viel lieber ließ ich mich von Auri führen. Sie kannte das Unterding wie ein fahrender Kessler seine Packtaschen.
    Wilem hatte recht: Ich hatte in der Bibliothek immer noch Hausverbot. Doch andererseits hatte ich stets ein besonderes Geschick besessen, dort hineinzugelangen, wo ich eigentlich nicht hätte sein dürfen. Leider.
    Die Bibliothek war ein riesiger, fensterloser Gebäudequader. Doch die Studenten darin brauchten frische Luft zum Atmen, und die Bücher brauchten mehr als das. Wenn die Luft im Gebäude zu feucht gewesen wäre, hätten die Bücher angefangen zu faulen und zu schimmeln. Und wenn sie zu trocken gewesen wäre, wäre das Pergament spröde geworden und zerfallen.
    Ich hatte lange gebraucht, bis ich herausgefunden hatte, auf welchem Weg Frischluft in die Bibliothek gelangte. Doch auch nachdem ich den richtigen Tunnel entdeckt hatte, war es alles andere als einfach gewesen, ins Gebäude zu gelangen. Ich hatte einen beängstigend engen Gang hinaufkriechen müssen, wobei ich mich eine Viertelstunde lang auf dem Bauch über schmutzigen Fels fortbewegte. Ich hatte im Unterding eine Garnitur Kleider deponiert, und nach nicht einmal einem Dutzend Passagen waren diese Kleider komplett ruiniert, die Knie und Ellenbogen zerrissen.
    Aber es lohnte sich, denn endlich hatte ich wieder Zugang zur Bibliothek.
    |58| Der Teufel wäre los gewesen, wenn mich jemand dabei erwischt hätte. Das hätte sicherlich mindestens meinen Rausschmiss zur Folge gehabt. Wenn ich mich aber bei der Zulassungsprüfung nicht gut schlug und zwanzig Talente Studiengebühren aufgebrummt bekam, kam das praktisch einem Rausschmiss gleich. Es wäre also gehüpft wie gesprungen.
    Dennoch machte ich mir keine Sorgen, ertappt zu werden. Im Bibliotheksmagazin gab es nur das Licht, das die Studenten und Bibliothekare bei sich trugen. Es herrschte dort also ewige Nacht, und im Schutze der Nacht habe ich mich schon immer am wohlsten gefühlt.

|59| Kapitel 5
Das EOLIAN
    D ie Tage schleppten sich dahin. Ich arbeitete mir im Handwerkszentrum buchstäblich die Finger wund und las anschließend in der Bibliothek, bis mir die Buchstaben vor den Augen verschwammen.
    Am fünften Tag der Zulassungsprüfungen stellte ich schließlich meine Decksleuchten fertig und lieferte sie im Lager ab, in der Hoffnung, dass sie sich schnell verkaufen würden. Ich überlegte, zwei weitere zu beginnen, machte mir aber klar, dass ich sie nicht fertig bekommen konnte, bevor die Studiengebühren fällig wurden.
    Daher machte ich mich daran, auf andere Weise Geld zu beschaffen. Ich schob einen zusätzlichen Abendauftritt im ANKER’S ein und bekam von dankbaren Zuhörern dafür einige Getränke spendiert und eine Hand voll Kleingeld. Außerdem leistete ich auch etwas Akkordarbeit im Handwerkszentrum: Ich stellte einfache, nützliche Dinge her, wie Messingzahnräder und gehärtete Glasscheiben. So etwas kaufte das Handwerkszentrum sofort, und man erzielte dabei einen kleinen Gewinn.
    Da kleine Gewinne aber nicht ausreichen würden, fertigte ich anschließend zwei Chargen gelbe Emitter. In Sympathielampen eingesetzt, gaben sie ein angenehmes, gelbliches Licht von sich, das dem Sonnenschein ähnelte. Sie waren einiges Geld wert, denn während man sie dotierte, musste man mit gefährlichen Stoffen hantieren.
    Die Schwermetalle und dampfenden Säuren waren dabei noch das geringste Problem. Wirklich beängstigend waren die bizarren alchemischen Verbindungen. Es gab da Substanzen, die einem, ohne |60| irgendwelche Spuren zu

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