Die Furcht des Weisen / Band 1
hinterlassen, durch die Haut drangen und dann in aller Stille das Kalzium aus den Knochen sogen. Andere verbargen sich einfach nur im Körper und zeigten monatelang keinerlei Wirkung, bis man urplötzlich schweres Zahnfleischbluten bekam und einem die Haare ausfielen. Verglichen mit manchem Zeug, das sie im Alchemie-Komplex herstellten, wirkte Arsen so harmlos wie der Zucker, den man sich in den Tee streut.
Obwohl ich mit äußerster Sorgfalt zu Werke ging, zerbrach bei der zweiten Emitter-Charge mein Tenten-Glas, und winzige Tröpfchen eines Leitmittels spritzten auf das Glas der Abzughaube, an der ich arbeitete. Nichts davon berührte meine Haut, doch ein Tröpfchen landete auf meinem Hemd, oberhalb der fast armlangen Lederhandschuhe, die ich trug.
Ganz langsam zog ich mit einem Greifzirkel den Hemdstoff an dieser Stelle von meinem Körper fort. Dann schnitt ich das Stück Stoff heraus, so dass es meine Haut nicht mehr berühren konnte. Dieser Zwischenfall ließ mich schlotternd und schweißgebadet zurück, und ich befand, dass es bessere Möglichkeiten gab, Geld zu verdienen.
Ich übernahm die Wachschicht eines Kommilitonen in der Mediho, wofür ich einen Jot bekam. Dann half ich einem Händler dabei, drei Wagenladungen Kalk abzuladen, und bekam pro Wagen einen Halbpenny dafür. Später an diesem Abend stieß ich auf eine Kartenrunde, die mich zum Mitspielen einlud. Binnen zweier Stunden brachte ich es fertig, achtzehn Pennys und ein paar Zerquetschte zu verlieren. Das ärgerte mich fürchterlich, doch ich zwang mich, vom Spieltisch aufzustehen, bevor es womöglich noch schlimmer kam.
Nach all diesen Bemühungen war mein Geldbeutel leerer als zuvor.
Doch zum Glück hatte ich noch einen letzten Trick auf Lager.
Ich vertrat mir ein wenig die Beine – auf der breiten Steinstraße, die nach Imre führte.
Simmon und Wilem begleiteten mich. Wil hatte seinen späten |61| Termin schließlich mit sattem Gewinn verkaufen können, und also hatten sie beide ihre Prüfung hinter sich und waren aller Sorgen ledig. Wils Studiengebühren waren auf sechs Talente, acht Jots festgesetzt worden, und Simmon freute sich immer noch über seine beeindruckend niedrigen fünf, zwei.
Mein Geldbeutel enthielt ein Talent und drei Jots. Ein wenig verheißungsvoller Betrag.
Der Vierte in unserer Runde war Manet. Sein struppiges graues Haar und die gewohnheitsmäßig zerknitterten Kleider ließen ihn ein wenig verwirrt wirken, so als wäre er gerade erst aufgewacht und wüsste nicht recht, wo er sei. Wir nahmen ihn mit, weil wir einen vierten Mann fürs Corners-Spielen brauchten, aber auch, weil wir uns verpflichtet fühlten, dafür zu sorgen, dass der arme Kerl wenigstens ab und zu mal aus der Universität herauskam.
Wir vier überquerten den hohen Bogen der Steinbrücke über den Omethi und gelangten dann nach Imre. Der Herbst lag in den letzten Zügen, und weil es kühl zu werden drohte, trug ich meinen Umhang. Den Lautenkasten hatte ich mir auf den Rücken geschnallt.
Im Herzen von Imre gingen wir über den mit Kopfstein gepflasterten Platz, vorbei an dem großen Springbrunnen mit den Nymphen- und Satyr-Statuen darin. Ein leichter Wind trug ein wenig von dem Sprühwasser des Springbrunnens mit sich, und wir stellten uns an der Schlange vor dem EOLIAN an.
Am Eingang angelangt, sah ich zu meinem Erstaunen, dass Deoch nicht da war. An seiner Stelle stand dort ein kleiner, stiernackiger Mann mit grimmigem Blick. »Das macht einen Jot, junger Herr.«
»Oh, Entschuldigung«, sagte ich, schob den Gurt des Lautenkastens beiseite und zeigte ihm das Abzeichen in Gestalt einer kleinen, silbernen Panflöte, das an meinem Umhang befestigt war. Ich wies auf Wil, Sim und Manet. »Die drei gehören zu mir.«
Der Türsteher beäugte das Abzeichen argwöhnisch. »Du siehst aber sehr jung aus«, sagte er und sah mir wieder ins Gesicht.
»Ich
bin
sehr jung«, erwiderte ich leichthin. »Das macht zu einem gewissen Teil meinen Charme aus.«
|62| »Sehr jung für ein Abzeichen«, präzisierte er und formulierte es so zu einer einigermaßen höflichen Anschuldigung um.
Ich zögerte. Ich sah zwar älter aus als ich war, also ein paar Jahre älter als fünfzehn, war damit aber, soweit ich wusste, der jüngste ausgezeichnete Musiker des EOLIAN. Normalerweise wirkte sich das zu meinen Gunsten aus. Nun jedoch …
Noch ehe mir eine Erwiderung einfiel, meldete sich jemand aus der Schlange hinter uns zu Wort. »Das geht in Ordnung, Kett.« Eine große
Weitere Kostenlose Bücher