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Die Furcht des Weisen / Band 1

Die Furcht des Weisen / Band 1

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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hättest du aber tun sollen«, sagte er. »Weshalb warte ich denn so höflich ab und störe dich nicht, wenn du solche Gelegenheiten ungenutzt verstreichen lässt?«
    »Du verstehst das falsch«, sagte ich. »Sie ist bloß freundlich zu mir.«
    »Offensichtlich«, erwiderte er, und sein kealdischer Akzent unterstrich den Sarkasmus. »Was hast du denn gezogen?«
    Ich zeigte ihm mein Plättchen.
    »Du bist einen Tag später dran als ich.« Er zeigte mir seins. »Für einen Jot tausch ich mit dir.«
    Ich zögerte.
    »Komm schon«, sagte er. »Es ist ja nicht so, dass du in der Bibliothek büffeln könntest – so wie wir anderen.«
    Ich sah ihn verärgert an. »Ich bin schier überwältigt von deinem Mitgefühl.«
    »Mein Mitgefühl hebe ich mir für Leute auf, die klug genug sind, den Leiter der Bibliothek nicht zur Weißglut zu treiben«, sagte er. »Für Leute wie dich habe ich nur einen Jot übrig. Also: Willst du oder nicht?«
    »Ich hätte gern zwei Jots dafür«, sagte ich und sah mich in der Menge nach verzweifelt wirkenden Studenten um. »Mal sehen, ob ich die kriegen kann.«
    Wilem kniff die dunklen Augen zusammen. »Ein Jot, drei Deute«, sagte er.
    Ich sah mich wieder zu ihm um. »Ein Jot, drei Deute«, sagte ich, »und wenn wir das nächste Mal Corners spielen, nimmst du Simmon zum Partner.«
    Er lachte schnaubend auf und nickte. Wir tauschten die Plättchen, und ich steckte das Geld in meinen Beutel:
ein Talent, vier Jots
. Ich war einen kleinen Schritt weiter gekommen. Nach kurzem Nachdenken steckte ich auch das Plättchen ein.
    »Willst du nicht mehr weiter tauschen?«, fragte Wil.
    Ich schüttelte den Kopf. »Ich glaube, ich behalte diesen Termin.«
    Er runzelte die Stirn. »Wieso? Was kannst du denn in vier Tagen erreichen – außer dir Sorgen zu machen und Däumchen zu drehen?«
    »Was alle anderen auch tun«, sagte ich. »Mich auf mein Prüfungsgespräch vorbereiten.«
    |50| »Und wie?«, fragte er. »Du hast doch immer noch Hausverbot in der Bibliothek, nicht wahr?«
    »Es gibt auch noch andere Methoden der Vorbereitung«, sagte ich geheimnisvoll.
    Wilem schnaubte. »Das klingt ja ganz und gar nicht dubios«, sagte er. »Und du wunderst dich, dass die Leute über dich reden.«
    »Ich wundere mich nicht,
dass
sie über mich reden«, sagte ich. »Ich wundere mich darüber,
was
sie reden.«

|51| Kapitel 4
Teer und Zinn
    D ie Stadt, die im Laufe der Jahrhunderte rings um die Universität herum gewachsen war, war nicht allzu groß. Es war eher ein Städtchen.
    Dennoch blühte der Handel am hiesigen Ende der großen Steinstraße. Kaufleute brachten Wagen voller Rohstoffe: Teer und Ton, Gibbstein, Pottasche und Meersalz. Sie brachten Luxusgüter wie Lenatti-Kaffee und vintischen Wein. Sie brachten feine, dunkle Tinte aus Arueh, reinweißen Sand für unsere Glasarbeiten und Präzisions-Federn und -Schrauben aus kealdischer Fertigung.
    Wenn die Kaufleute wieder abfuhren, waren ihre Wagen hoch beladen mit Dingen, die es nur an der Universität gab. Die Mediho stellte Arzneimittel her – richtige Medikamente, keine Quacksalber-Mittelchen. Der Alchemie-Komplex produzierte seine eigenen Wunderwerke, von denen ich nur eine vage Vorstellung hatte, aber auch Rohstoffe wie Naphtha, Schwefelgösch und Doppelkalk.
    Ich mag da voreingenommen sein, glaube aber, behaupten zu können, dass die meisten greifbaren Wunderwerke der Universität aus dem Handwerkszentrum stammten: geschliffene Glaslinsen, Barren von Wolfram und Glantz-Stahl, Blattgold, so fein und leicht zu zerreißen wie Seidenpapier.
    Doch wir stellten noch weit mehr her: Sympathielampen und Teleskope, Hitzefresser und Schwunger, Salzpumpen, Trimetallkompasse und Dutzende Varianten von Teccams Winde und Delevaris Achse.
    Handwerker wie ich fertigten diese Dinge, und wenn Händler sie erwarben, bekamen wir eine Provision: sechzig Prozent der Kaufsumme. |52| Nur deshalb besaß ich überhaupt etwas Geld. Und da während der Zulassungsprüfungen keine Lehrveranstaltungen stattfanden, hatte ich eine ganze Spanne Zeit, im Handwerkszentrum zu arbeiten.

    Ich ging in den Lagerraum, in dem sich die Handwerker ihre Werkzeuge und ihr Material aushändigen ließen, und war erstaunt, als ich dort einen großen, blassen Studenten am Fenster stehen sah, der sehr gelangweilt wirkte.
    »Jaxim?«, sagte ich. »Was machst du denn hier? Das ist doch eine Hiwi-Arbeit.«
    Jaxim nickte missmutig. »Kilvin ist immer noch ein bisschen … sauer auf mich«, sagte er. »Du weißt

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