Die Furcht des Weisen / Band 1
eines Baumes auf einer steinernen Bank und sah mit seinen weiten Ärmeln und der Weste jeder Zoll wie der vornehme Herr aus, der er war. Seine Kleider waren in Saphirblau und Elfenbeinweiß gehalten, den Farben der Alverons. Sie wirkten gediegen, doch nicht protzig. Als Schmuck trug er lediglich einen goldenen Siegelring. Verglichen mit den meisten Höflingen seiner Umgebung war seine äußere Erscheinung geradezu schlicht.
Auf den ersten Blick schien er sich nichts aus höfischer Mode zu machen. Erst beim zweiten Hinsehen erkannte man den Unterschied. Das Elfenbeinweiß seines Hemds war makellos, das Saphirblau der Weste leuchtete. Ich hätte meine Daumen darauf verwettet, dass er beide Kleidungsstücke höchstens ein halbes Dutzend Mal getragen hatte.
Sie zeigten seinen Reichtum auf eine versteckte, aber umso wirkungsvollere Weise. Sich schöne Kleider leisten zu können war das Eine, aber was mochte es kosten, eine Garderobe zu unterhalten, der man nie auch nur die leiseste Spur des Verschleißes ansah? Mir fiel ein, was Graf Threpe über Alveron gesagt hatte: dass er so reich sei wie der König von Vint.
Der Maer selbst sah genauso aus wie bei unserer ersten Begegnung. Groß und mager, mit grauen, makellos gekämmten Haaren. Ich betrachtete ihn eingehend. Sein Gesicht wirkte müde, seine Hände zitterten ein wenig.
Er sieht alt aus,
dachte ich,
aber er ist es nicht.
Vom Glockenturm schlug die Stunde. Ich richtete mich auf, ging um die Hecke herum und näherte mich dem Maer.
|537| Er nickte und musterte mich forschend. »Kvothe. Ich hatte gehofft, du würdest kommen.«
Ich machte eine Verbeugung, die nicht ganz so förmlich ausfiel. »Eure Einladung hat mich sehr gefreut, Euer Gnaden.«
Da Alveron mir nicht bedeutete, ich solle mich setzen, blieb ich stehen. Er wollte wohl prüfen, ob ich mich zu benehmen wusste. »Du hast hoffentlich nichts dagegen, dass wir uns im Freien treffen. Hast du dir den Garten schon angesehen?«
»Ich hatte noch nicht die Gelegenheit, Euer Gnaden.« Ich hatte ja nicht gewagt, meine Unterkunft zu verlassen, bevor er mich rief.
»Dann erlaube mir, ihn dir zu zeigen.« Er ergriff einen polierten Spazierstock, der am Stamm des schattenspendenden Baumes lehnte. »Ich war schon immer der Meinung, dass frische Luft gegen jegliche Beschwerden des Körpers hilft. Andere sehen das anders.« Er beugte sich vor, als wollte er aufstehen, doch dann lief ein schmerzerfülltes Zucken über sein Gesicht, und er holte mit zusammengebissenen Zähnen scharf Luft.
Er ist krank,
begriff ich.
Nicht alt, krank!
Ich eilte sofort neben ihn und bot ihm meinen Arm an. »Erlaubt mir, Euer Gnaden.«
Der Maer lächelte steif. »Wenn ich jünger wäre, würde ich dein Angebot ausschlagen.« Er seufzte. »Doch Stolz ist der Luxus des Starken.« Er ergriff meinen Arm mit seiner schmalen Hand und zog sich daran hoch. »Ich muss mich mit Höflichkeit begnügen.«
»Sie ist der Luxus des Weisen«, erwiderte ich schlagfertig. »Und Eure Weisheit adelt Euch.«
Alveron lachte leise in sich hinein und tätschelte mir den Arm. »Damit lässt sich meine Hinfälligkeit wohl leichter ertragen.«
»Soll ich Euch den Stock geben?«, fragte ich. »Oder sollen wir zusammen gehen?«
Alveron ließ dasselbe trockene Lachen hören. »›Zusammen gehen‹ ist taktvoll ausgedrückt.« Er nahm den Stock in die rechte Hand und hielt sich mit der linken erstaunlich kräftig an meinem Arm fest.
»Herr im Himmel«, fluchte er leise. »Wie ich es verabscheue, so gesehen zu werden. Aber es ist weniger demütigend, sich auf den Arm eines jungen Mannes zu stützen, als allein durch den Garten zu stolpern. |538| Wie schrecklich, wenn einen der Körper im Stich lässt. Als junger Mensch denkt man nicht daran.«
Wir gingen los, und unser Gespräch verstummte, während wir dem Plätschern der Brunnen und dem Zwitschern der Vögel in den Hecken lauschten. Gelegentlich machte der Maer mich auf eine Statue aufmerksam und sagte, welcher seiner Vorfahren sie in Auftrag gegeben oder – er sprach dann unwillkürlich leiser, wie um sich zu entschuldigen – als Kriegsbeute aus dem Ausland mitgebracht hatte.
So spazierten wir etwa eine Stunde durch den Garten. Alveron stützte sich nach und nach weniger auf mich und benützte mich nur mehr dazu, das Gleichgewicht zu halten. Wir begegneten einigen Adligen, die sich vor dem Maer verneigten oder ihn mit einem Nicken grüßten. Sobald sie außer Hörweite waren, erklärte er mir, um wen es sich
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