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Die Furcht des Weisen / Band 1

Die Furcht des Weisen / Band 1

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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Wieviel einfacher würde mein Leben sein, wenn Ambrose mir nicht mehr auf Schritt und Tritt Steine in den Weg legen konnte! Bei dieser Vorstellung wurde mir ganz schwindlig.
    Ich vermisste meine Laute, aber alles hat seinen Preis. Für die Aussicht, den Maer als Schirmherrn zu gewinnen, wollte ich gern die Zähne zusammenbeißen und einige Tage der Langeweile und Sorge ohne Musik ertragen.
    Alveron behielt völlig Recht, was die Neugier seiner Höflinge betraf. Nachdem er mich an jenem Abend zu sich gerufen hatte, breiteten sich wie ein Lauffeuer die verschiedensten Gerüchte aus. Ich verstand jetzt auch, warum er selbst eine gewisse Freude am Klatsch zu haben schien. Man beobachtete die neuen Gerüchte gleichsam bei ihrer Entstehung.

|541| Kapitel 56
Macht
    A m folgenden Tag ließ Alveron mich erneut kommen, und wir spazierten wieder durch den Garten. Alveron stützte sich mit der Hand leicht auf meinen Arm. »Heute gehen wir in den südlichen Teil.« Er zeigte mit seinem Stock in die Richtung. »Wie ich höre, haben die Selas zu blühen begonnen.«
    So schlugen wir den Weg nach links ein. Alveron holte Luft. »Es gibt zwei Formen von Macht: die Macht, die aus uns selbst hervorgeht, und die, die uns von außen verliehen wird«, begann er und gab damit das Thema unseres Gespräches vor. »Die eine besitzen wir als Teil unserer selbst, die andere wird uns von anderen gegeben.« Er sah mich von der Seite an, und ich nickte.
    »Die Macht, die aus uns hervorgeht, beruht auf Eigenschaften wie Körperkraft, Verstand oder Charakterstärke«, fuhr er fort. Er berührte meinen Arm. »Diese Eigenschaften sind mit unserer Person verknüpft. Sie bestimmen uns und setzen uns Grenzen.«
    »Nicht unbedingt, Euer Gnaden«, wandte ich eifrig ein. »Man kann sich immer auch verbessern.«
    »Sie setzen uns Grenzen«, beharrte der Maer. »Ein Mann mit nur einer Hand wird nie ein guter Ringkämpfer sein und ein Mann mit einem Bein nie so schnell laufen wie einer mit zwei Beinen.«
    »Aber ein Krieger der Adem kämpft mit einer Hand womöglich besser als ein anderer Soldat mit zweien, Euer Gnaden«, gab ich zu bedenken. »Trotz seiner Behinderung.«
    »Zugegeben«, räumte der Maer ein wenig ungeduldig ein. »Wir können uns verbessern, unseren Körper stärken, den Verstand schulen und unser Äußeres pflegen.« Er fuhr sich mit der Hand über den |542| makellos gestutzten Bart. »Denn auch mit unserem Aussehen können wir Macht ausüben. Aber es gibt immer Grenzen. Ein einhändiger Mann mag ein brauchbarer Krieger werden, aber er könnte nie Laute spielen.«
    Ich nickte langsam. »Da habt Ihr recht, Euer Gnaden. Unsere Fähigkeiten haben Grenzen, die wir erweitern können, allerdings nicht beliebig.«
    Alveron hob einen Finger. »Aber das ist nur die eine Form der Macht. Die Grenzen gelten nur, solange wir allein auf die eigene Kraft vertrauen. Daneben gibt es aber noch die Macht, die uns verliehen wird. Verstehst du, was ich damit meine?«
    Ich überlegte. »Steuern?«
    »Hm«, brummte der Maer überrascht. »Gar kein schlechtes Beispiel. Hast du schon über solche Dinge nachgedacht?«
    »Ein wenig«, gab ich zu. »Allerdings nicht mit diesen Begriffen.«
    Meine Antwort schien ihn zu freuen. »Ein schwieriges Thema«, sagte er. »Welche Form der Macht hältst du nun für die größere?«
    Ich überlegte nur kurz. »Die aufgrund unserer eigenen Fähigkeiten, Euer Gnaden.«
    »Interessant. Warum?«
    »Weil niemand sie uns wegnehmen kann, Euer Gnaden.«
    »Hm.« Er hob wie mahnend den Finger. »Aber wir sind doch übereingekommen, dass diese Form der Macht deutliche Grenzen hat. Die verliehene Macht hat dagegen keine.«
    »Keine
Grenzen, Euer Gnaden?«
    »Oder nur ganz wenige«, räumte er mit einem Nicken ein.
    Ich war immer noch nicht einverstanden. Der Maer musste es an meinem Gesicht abgelesen haben, denn er beugte sich vor und setzte zu einer Erklärung an. »Angenommen, ich habe einen jungen und starken Feind und er hat mir etwas gestohlen, sagen wir einen Geldbetrag. Hörst du mir zu?« Ich nickte.
    »Ich kann meine körperlichen Kräfte stärken, wie ich will, einem aufsässigen Zwanzigjährigen bin ich nicht gewachsen. Was tue ich also? Ich beauftrage einen jungen, starken Freund, den Dieb zu verprügeln. Mit seiner Hilfe schaffe ich etwas, das mir allein nicht möglich wäre.«
    |543| »Aber Euer Feind könnte auch umgekehrt Euren Freund verprügeln«, entgegnete ich. Wir gingen um eine Ecke. Ein gebogenes Gitter voller Ranken

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