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Die Furcht des Weisen / Band 1

Die Furcht des Weisen / Band 1

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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    Ich zog Graf Threpes Schreiben hervor und überreichte es ihm |531| mit einer kleinen Verbeugung. »Ihr würdet mir einen großen Dienst erweisen, wenn Ihr dies dem Maer geben könntet«, sagte ich. »Er erwartet mich.«
    Stapes gab mir durch einen kühlen Blick zu verstehen, dass, wenn der Maer mich tatsächlich erwarten würde, er davon bereits seit circa zehn Tagen wüßte. Er rieb sich das Kinn, während er noch überlegte, und ich sah, dass er einen eisernen Ring am Finger trug, in den goldene Buchstaben eingraviert waren.
    Er verschwand trotz seiner offenkundigen Bedenken mit dem Brief durch eine Doppeltür. Ich wartete eine Minute lang nervös, dann kehrte er zurück und bedeutete mir mitzukommen. In seinem Blick lag noch immer Missbilligung.
    Wir gingen einen kurzen Flur entlang zu einer zweiten, von bewaffneten Wachen flankierten Tür. Die Wachen standen nicht nur zur Zierde da, wie man es von öffentlichen Gebäuden kennt. Sie salutierten nicht und hielten auch keine Hellebarden. Stattdessen trugen sie unter einem Rock in den Farben des Maer, Saphirblau und Elfenbeinweiß, profane Brustpanzer aus Stahlringen und Leder, außerdem Langschwerter und lange Messer. Streng blickten sie mir entgegen.
    Der Kammerdiener des Maer wies mit einem Nicken auf mich, und eine Wache umfasste mich mit einer raschen, geschickten Bewegung, ließ die Hände über meinen Oberkörper und an meinen Armen und Beinen entlang gleiten und suchte mich nach versteckten Waffen ab. Ich war plötzlich froh über die Missgeschicke, die mir auf meiner Reise zugestoßen waren und in deren Folge ich die beiden schmalen Messer verloren hatte, die ich unter den Kleidern getragen hatte.
    Dann trat die Wache zurück und nickte. Stapes warf mir erneut einen missbilligenden Blick zu und öffnete die innere Tür.
    Drinnen saßen zwei Männer an einem mit Landkarten bedeckten Tisch. Der eine war groß und glatzköpfig und hatte das grimmige, wettergegerbte Gesicht eines alten Soldaten. Neben ihm saß der Maer.
    Alveron war älter, als ich erwartet hatte. Er hatte ein ernstes Gesicht mit einem stolzen Zug um Mund und Augen. Sein sorgfältig gestutzter Bart war fast vollständig ergraut, sein Kopfhaar dagegen |532| noch dicht und voll. Auch seine klaren, grauen Augen wollten nicht zu seinem Alter passen. Ihr Blick war hellwach und durchdringend.
    Er sah mir entgegen. In der Hand hielt er Threpes Brief.
    Ich verbeugte mich mit der Verbeugung Nummer drei aus meinem Repertoire. Die »Verbeugung des Gesandten« hatte mein Vater sie genannt. Tief und förmlich, wie es dem hohen Rang des Maer entsprach, ehrerbietig, aber nicht unterwürfig. Dass ich Schicklichkeit und Anstand zuweilen mit Füßen trete, heißt nicht, dass ich mich nicht im Bedarfsfall bestens zu benehmen weiß.
    Der Blick des Maer wanderte zu dem Brief in seiner Hand und wieder zu mir. »Kvothe, ja? Du reist schnell, wenn du jetzt schon da bist. Ich habe nicht einmal die Antwort des Grafen so früh erwartet.«
    »Ich habe mich so sehr beeilt, wie ich konnte, um Euch zu Diensten zu sein, Euer Gnaden.«
    »In der Tat.« Er musterte mich eingehend. »Und du scheinst die hohe Meinung des Grafen von deinen Fähigkeiten zu bestätigen, da du es geschafft hast, nur mit einem versiegelten Schreiben zu mir vorzudringen.«
    »Ich hielt es für geraten, mich Euch so früh wie möglich vorzustellen, Euer Gnaden«, sagte ich mit unbewegter Miene. »Eurem Brief nach zu schließen war Eile geboten.«
    »Das ist dir eindrucksvoll gelungen.« Alveron warf dem hochgewachsenen Mann, der am Tisch neben ihm saß, einen Blick zu. »Nicht wahr, Dagon?«
    »Ja, Euer Gnaden.« Dagon sah mich mit schwarzen Augen an. Sein Gesicht war wie aus Stein gemeißelt und zeigte keinerlei Regung. Ich unterdrückte ein Schaudern.
    Alveron senkte den Blick wieder auf den Brief. »Threpe spart wirklich nicht mit Komplimenten. Beredt, charmant, begabtester Musiker, den er in den letzten zehn Jahren kennen gelernt hat …«
    Er las stumm weiter. Dann blickte er erneut auf und musterte mich scharf. »Du siehst noch sehr jung aus«, meinte er zögernd. »Höchstens zwanzig, nicht wahr?«
    Ich war vor einem Monat sechzehn geworden, doch das hatte ich in Threpes Schreiben absichtlich verschwiegen. »Ich bin jung, Euer Gnaden«, antwortete ich, ohne zu lügen. »Aber ich mache Musik, seit |533| ich vier bin.« Ich klang ruhig und selbstbewusst und war in diesem Moment doppelt froh über meine neuen Kleider. In meinen Lumpen

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