Die Furcht des Weisen / Band 1
plötzlich ganz heiß geworden.
Der Maer schien es nicht zu bemerken. »Eine schreckliche Frau. Sie hat alle paar Tage einen neuen Liebhaber. Ihr Vater wurde in einem Duell mit dem Edlen Higton verwundet. Anlass des Streits war eine ›unziemliche‹ Bemerkung. Sie traf zwar zu, aber das zählt nichts mehr, wenn die Degen gezogen sind.«
»Und der Edle?«
»Erlag am Tag danach seinen Wunden. Schade. Er war ein braver Mann, konnte aber nicht den Mund halten.« Der Maer seufzte und blickte zum Glockenturm hinauf. »Wie gesagt, ein Arzt genügt mir vollauf. Caudicus bemuttert mich wie eine Henne ihr Küken. Ich schlucke ungern Medikamente, wenn es mir wieder besser geht.«
Es schien dem Maer tatsächlich besser zu gehen. Er hatte meinen Arm während des Spaziergangs kaum gebraucht. Ich spürte, dass er sich nur noch deshalb auf mich stützte, um vertraulich mit mir sprechen zu können. »Aber wenn es Euch besser geht, beweist das, dass seine Behandlung richtig war«, sagte ich.
»Gewiss, gewiss. Seine Mittelchen vertreiben meine Krankheit für die Dauer einer Spanne, manchmal auch einiger Monate.« Der Maer seufzte bitter. »Aber sie bricht immer wieder aus. Soll ich den Rest meines Lebens von Arzneien abhängig sein?«
»Bestimmt werdet Ihr sie eines Tages nicht mehr brauchen, Euer Gnaden.«
»Das hatte ich auch gehofft. Caudicus hat von seiner letzten Reise einige Kräuter mitgebracht, die geradezu Wunder bewirkten. Nach seiner letzten Behandlung blieb ich fast ein Jahr lang gesund. Ich glaubte schon, ich sei endgültig genesen.« Der Maer blickte düster auf seinen Spazierstock. »Von wegen.«
|546| »Ich würde Euch gerne helfen, wenn es in meiner Macht stünde, Euer Gnaden.«
Alveron sah mich an. Dann nickte er wie zu sich selbst. »Ich glaube dir«, sagte er. »Wie ungewöhnlich.«
Wir führten viele weitere Gespräche, die sich um ähnliche Dinge drehten. Der Maer schien mich näher kennen lernen zu wollen. Mit seinem ganzen, in vierzig Jahren höfischer Intrige erworbenen Geschick lenkte er das Gespräch immer wieder in verschiedene Richtungen, lernte meine Meinungen kennen und wog ab, ob ich sein Vertrauen verdiente oder nicht.
Ich verfügte zwar nicht über dieselbe Erfahrung, verstand mich aber ebenfalls auf die Führung eines Gesprächs und antwortete stets besonnen und höflich. Wir begannen uns gegenseitig zu schätzen. Es entstand keine Freundschaft wie mit dem Grafen Threpe. Der Maer blieb immer auf seinen Rang bedacht und forderte mich nie auf, mich in seiner Gegenwart zu setzen. Aber langsam kamen wir einander näher. Während Threpe ein Freund gewesen war, war der Maer ein unnahbarer Großvater: mir freundlich zugewandt, aber älter, ernst und zurückhaltend.
Er schien einsam zu sein und hielt sich von seinen Untertanen und den Mitgliedern des Hofes fern. Ich vermutete schon, er könnte Threpe nach einem Gesellschafter gefragt haben, einem gebildeten Menschen, der nichts mit den Intrigen des Hofes zu tun hatte und mit dem er hin und wieder ein ehrliches Gespräch führen konnte.
Anfangs hielt ich es zwar noch für unwahrscheinlich, doch die Tage vergingen, ohne dass der Maer darauf zu sprechen kam, wozu er mich brauchte.
Wenn ich meine Laute gehabt hätte, hätte ich mir die Zeit angenehm vertreiben können, doch sie lag noch beim Pfandleiher, und in sieben Tagen würde sie ihm ganz gehören. Ich konnte mich also nicht durch Musik ablenken, sondern nur in nutzloser Tatenlosigkeit in meinen hallenden Gemächern sitzen.
|547| Die Gerüchte über mich nahmen zu, und Mitglieder des Hofes besuchten mich. Einige heuchelten Freude über meine Ankunft, andere taten, als wollten sie nur ein wenig plaudern. Einige Damen wollten mich vermutlich sogar verführen, doch meine Kenntnisse über Frauen waren zum damaligen Zeitpunkt noch so beschränkt, dass ich für ihre Annäherungsversuche nicht empfänglich war. Ein Höfling wollte Geld von mir leihen, und ich musste mich sehr beherrschen, nicht laut herauszulachen.
Jeder dieser Besucher nannte einen anderen Anlass für sein Kommen und stellte sich dabei mehr oder weniger geschickt an. Doch alle kamen aus demselben Grund: mich auszuhorchen. Da der Maer mir allerdings aufgetragen hatte, nichts über mich preiszugeben, blieben die Gespräche kurz und unbefriedigend.
Alle bis auf eines, sollte ich sagen. Die Ausnahme bestätigt die Regel.
|548| Kapitel 57
Eine Hand voll Eisen
I ch lernte Bredon an meinem vierten Tag in Severen kennen. Es war noch
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