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Die Furcht des Weisen / Band 1

Die Furcht des Weisen / Band 1

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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früh am Morgen, doch ich lief bereits ruhelos in meinem Zimmer auf und ab und drohte vor Langeweile verrückt zu werden. Gefrühstückt hatte ich schon, aber das Mittagessen war noch Stunden entfernt.
    Drei Höflinge hatte ich bereits empfangen, die mich aushorchen wollten. Geschickt steuerte ich alle Gespräche und ließ sie bei jeder Gelegenheit auflaufen.
Wo kommst du her, mein Junge?
Ihr wisst doch, wie es ist. Man reist so durch die Welt.
Und deine Eltern?
Ja gewiss, ich hatte welche. Zwei sogar.
Was brachte dich nach Severen?
Eine vierspännige Kutsche. Ich bin allerdings auch ein Stück gelaufen. Das ist gut für die Lungen, wie Ihr wisst.
Und was tust du hier?
Ich freue mich an guten Gesprächen und lerne interessante Leute kennen.
Ach ja? Wen?
Alle möglichen Leute. Zum Beispiel Euch, Lord Praevek. Ihr seid ein faszinierender Mensch …
    Und so weiter. Schon bald waren selbst die hartnäckigsten Schwätzer mich leid und ließen mich in Ruhe.
    Das Schlimme war, dass diese kurzen Gespräche meine interessanteste Beschäftigung waren, wenn der Maer mich nicht zu sich rief. Mit ihm hatte ich bisher einmal bei einem leichten Mittagsmahl gesprochen, dreimal auf kurzen Spaziergängen im Garten und einmal spätabends, wenn die meisten vernünftigen Menschen schlafen. Zweimal hatte mich Alverons Laufbote aus tiefstem Schlaf geweckt, noch bevor das erste Licht des Morgengrauens den Himmel bläulich gefärbt hatte.
    Ich spüre, wenn ich geprüft werde. Alveron wollte herausfinden, |549| ob ich wirklich willens war, ihm zu jeder noch so absonderlichen Tages- oder Nachtzeit zu Verfügung zu stehen. Er wollte wissen, wann seine willkürlichen Vorladungen meine Ungeduld oder meinen Ärger wecken würden.
    Also spielte ich sein Spiel mit. Ich war stets freundlich und unfehlbar höflich. Ich kam, wenn er mich rief, und ging, sobald er mit mir fertig war. Ich stellte keine ungehörigen Fragen, verlangte nichts und wanderte den Rest des Tages zähneknirschend in meinen übergroßen Gemächern auf und ab und versuchte nicht daran zu denken, wie wenige Tage mir noch für die Auslösung meiner Laute blieben.
    Kein Wunder, dass ich zur Tür flog, als es an diesem vierten Tag klopfte. Ich hoffte auf eine Einladung des Maer, mir war inzwischen allerdings schon jede Ablenkung willkommen.
    Ich öffnete. Draußen stand ein älterer Mann, ein vornehmer Herr in jeder Beziehung. Seine Kleider verrieten es, aber noch mehr die ruhige Selbstverständlichkeit, mit der er sie zu tragen wusste, die Selbstverständlichkeit des adlig und reich Geborenen. Adligen ohne Stammbaum, Aufschneidern und reichen Kaufleuten geht diese Gelassenheit ab. Alverons Kammerdiener Stapes zum Beispiel trug feinere Kleider als mancher Adlige, kam mir aber trotzdem vor wie ein Bäcker im Festtagsgewand.
    Dank Alverons Schneider war ich genauso gut gekleidet wie die anderen Höflinge. Die Farben Laubgrün, Schwarz und Dunkelrot standen mir ausgezeichnet, Ärmelaufschläge und Kragen waren mit silbernen Tressen besetzt. Doch im Unterschied zu Stapes trug ich meine Kleider mit nobler Gelassenheit. Zugegeben, der Brokatstoff juckte und die Knöpfe, Schnallen und vielen Schichten machten die Gewänder steif und sperrig wie die lederne Montur eines Soldaten. Doch ich bewegte mich darin so natürlich wie in einer zweiten Haut. Kleider waren letztlich nichts anderes als Kostüme, und ich spielte meine Rolle wie ein professioneller Schauspieler.
    Als ich die Tür öffnete, stand draußen im Gang wie gesagt ein älterer Herr.
    »Du bist also Kvothe?«, fragte er.
    Ich nickte ein wenig irritiert. Im nördlichen Vintas war es Brauch, zuerst einen Diener zu schicken, der um ein Gespräch bat. Der Bote |550| überbrachte eine schriftliche Nachricht und einen Ring, in den der Name des anfragenden Adligen eingraviert war. Ersuchte man einen Adligen höheren Ranges um ein Gespräch, schickte man einen goldenen Ring. Für einen gleichrangigen Adligen genügte ein silberner, für eine Person geringeren Ranges ein eiserner.
    Ich bekleidete natürlich überhaupt keinen Rang und besaß weder Titel noch Land, Familie oder Stammbaum. Ich war von so niedriger Geburt, wie es nur ging, was hier allerdings niemand wusste. Alle nahmen an, der geheimnisvolle rothaarige Mensch, mit dem Alveron verkehrte, müsse selbst ein Adliger sein, und meine Abstammung und mein Rang waren ein vieldiskutierter Gesprächsstoff.
    Doch den Ausschlag gab, dass ich nicht in aller Form bei Hof vorgestellt worden

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