Die Furcht des Weisen / Band 1
hinterher. »Du solltest den Apfelmost vom Ofen nehmen und zum Abkühlen rausstellen!«, rief er ihm nach. »Die letzte Charge war eher Marmelade als Most. Und ich hab ein paar Kräuter gesammelt, während ich unterwegs war. Die liegen auf der Regentonne. Schau sie dir mal an, ob irgendwas davon fürs Abendessen zu gebrauchen ist.«
|31| Nun im Schankraum allein, beäugten sich Bast und der Chronist über den Tresen hinweg. Das Einzige, was man hörte, war das Öffnen und Schließen der Hintertür.
Bast legte letzte Hand an seinen Kranz und betrachtete ihn von allen Seiten. Er hielt ihn sich vors Gesicht, als wollte er daran riechen. Doch stattdessen atmete er tief ein, schloss die Augen und hauchte so zart über die Stechpalmenblätter, dass sie sich kaum regten.
Die Augen wieder öffnend, lächelte Bast entschuldigend und ging zu dem Chronisten hinüber. »Hier«, sagte er und hielt dem sitzenden Mann den Stechpalmenkranz hin.
Der Chronist machte keine Anstalten, ihn entgegenzunehmen.
Basts Lächeln schwand nicht. »Ihr habt das nicht bemerkt, denn Ihr wart ja viel zu sehr damit beschäftigt, Euch zu Boden zu werfen«, sagte er mit leiser, ruhiger Stimme, »aber er hat tatsächlich gelacht, als Ihr Reißaus genommen habt. Drei schöne Lacher aus tiefster Kehle. Er hat so ein wunderbares Lachen. Es ist wie eine Frucht. Es ist wie Musik. Ich hatte es seit Monaten nicht mehr gehört.«
Bast hielt ihm den Stechpalmenkranz erneut hin und lächelte dabei scheu. »Und deshalb ist das für Euch. Ich habe alles, was ich an Grammarie besitze, darauf einwirken lassen, und daher wird es länger frisch und grün bleiben, als man glauben würde. Ich habe die Zweige auf die richtige Weise gesammelt und mit meinen eigenen Händen geflochten.« Er hielt den Kranz ein bisschen weiter ausgestreckt, wie ein nervöser kleiner Junge einen Blumenstrauß. »Hier. Es ist ein Geschenk. Es sind keinerlei Verpflichtungen damit verbunden.«
Zögernd streckte der Chronist eine Hand aus und nahm den Kranz entgegen. Er betrachtete ihn und drehte ihn in den Händen hin und her. Rote Beeren ruhten wie Edelsteine zwischen den dunkelgrünen Blättern, und der Kranz war auf geschickte Weise so geflochten, dass alle Dornen nach außen wiesen. Der Chronist setzte sich den Kranz vorsichtig auf den Kopf, und er saß wie angegossen.
Bast grinste. »Nun huldigt alle dem König Hofnarr!«, rief er, warf die Hände hoch und lachte.
Ein Lächeln spielte um die Mundwinkel des Chronisten, als er den Kranz wieder abnahm. »Heißt das also«, sagte er leise und ließ die |32| Hände auf den Schoß sinken, »dass die Unstimmigkeit zwischen uns beiden beigelegt ist?«
Bast neigte verdutzt den Kopf zur Seite. »Wie meinen?«
Der Chronist blickte beklommen. »Wovon Ihr … heute Nacht gesprochen habt …«
Bast wirkte überrascht. »Oh nein«, sagte er in ernstem Ton und schüttelte den Kopf. »Nein. Ganz und gar nicht. Ihr gehört mir, bis ins Mark Eurer Knochen hinein. Ihr seid ein Werkzeug meines Willens.« Bast warf schnell einen Blick in Richtung Küche, und seine Miene wurde bitter. »Und Ihr wisst ja, was ich mir wünsche. Bringt ihn dazu, sich daran zu erinnern, dass er mehr ist als nur irgendein Gastwirt, der Kuchen backt.« Die letzten Worte spie er buchstäblich.
Der Chronist rutschte unbehaglich auf seinem Sitz umher und wandte den Blick ab. »Ich weiß immer noch nicht, was ich tun soll.«
»Ihr werdet tun, was Ihr könnt«, sagte Bast leise. »Lockt ihn aus sich heraus.
Weckt ihn auf
.«
Bast legte dem Chronisten eine Hand auf die Schulter, und seine blauen Augen verengten sich kaum merklich. »Ihr werdet ihn dazu bringen, dass er sich daran erinnert. Ihr schafft das.«
Der Chronist zögerte kurz, sah dann auf den Stechpalmenkranz auf seinem Schoß hinab und nickte. »Ich werde tun, was ich kann.«
»Mehr kann man von niemandem verlangen«, sagte Bast und tätschelte ihm freundschaftlich den Rücken. »Wie geht’s denn übrigens der Schulter?«
Der Schreiber ließ sie kreisen, und die Bewegung wirkte deplatziert, da sein übriger Körper dabei reglos verharrte. »Taub. Kalt. Aber sie tut nicht weh.«
»Das war zu erwarten. Ich würde mir an Eurer Stelle keine Sorgen machen«, sagte Bast und schenkte ihm ein ermutigendes Lächeln. »Für Leute wie Euch ist das Leben zu kurz, um sich wegen derlei Kleinigkeiten zu bekümmern.«
|33| Dann wurde gefrühstückt. Kartoffeln, Röstbrot, Tomaten und Eier. Der Chronist langte ordentlich zu,
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