Die Furcht des Weisen / Band 1
kämpfte gegen den Drang an, mich dorthin umzusehen. »Ist das dein Ernst?«, fragte ich.
»Keine Sorge«, sagte sie zu Wil und Sim. »Ich werde Deoch losschicken, um den Modeganer abzulenken. Dann könnt ihr beide in die Bresche springen.«
»Was soll Deoch denn tun?«, fragte Simmon und lachte. »Jonglieren etwa?«
Denna sah ihn freimütig an.
»Was denn?«, fragte Simmon. »Deoch ist doch einfach nicht gerissen genug für so was.«
Denna zwinkerte ihm kurz zu. »Stanchion und er sind die gemeinschaftlichen Inhaber des EOLIAN«, sagte sie. »Wusstest du das nicht?«
»Ja, ihnen gehört der Laden«, sagte Sim. »Aber deshalb sind sie doch noch lange nicht, na ja, du weißt schon,
zusammen
.«
Denna lachte. »Selbstverständlich sind sie das.«
»Aber Deoch hat doch immer an jeder Hand fünf Frauen«, protestierte Simmon. »Der … der … kann doch einfach nicht …«
|220| Denna sah ihn an, als wäre er die Einfalt in Person, und wandte sich dann an Wil und mich. »Ihr beide wusstet das aber, oder?«
Wilem zuckte die Achseln. »Ich hatte davon keine Kenntnis. Aber es wundert mich nicht, dass er ein
Bascha
ist. Er ist ja durchaus sehr attraktiv.« Er hielt inne und runzelte die Stirn. »
Bascha
. Wie nennt man hier solche Leute? Ein Mann, der sowohl mit Frauen als auch mit Männern intimen Umgang pflegt.«
»Glückspilz?«, schlug Denna vor. »Beidhänder? Ambidexter?«
»Bisexueller«, berichtigte ich.
»Das klingt doch allzu farblos und fade«, rügte mich Denna. »Wenn wir keine eindrucksvoll klingenden Namen für diese Dinge hätten, würde uns doch keiner ernst nehmen.«
Sim guckte sie ungläubig an, konnte es offenbar immer noch nicht fassen.
»Schau mal«, sagte Denna langsam, als spräche sie zu einem Kind. »Es ist alles nur Energie. Und wir können diese Energie in verschiedene Bahnen lenken.« Dann lächelte sie mit einem Mal strahlend, als wäre ihr die perfekte Methode eingefallen, es ihm zu erklären. »Das ist so, wie wenn du das machst«, sagte sie und rieb, ihn nachahmend, mit einer Hand energisch auf ihrem Oberschenkel auf und ab. »Es ist alles nur Energie.«
Wilem verbarg mittlerweile sein Gesicht hinter seinen Händen, und seine Schultern bebten vor unterdrücktem Gelächter. Sim guckte immer noch ungläubig und verwirrt, aber jetzt wurde er dazu noch wütend und lief rot an.
Ich stand auf und nahm Denna beim Ellenbogen. »Lass den armen Jungen in Ruhe«, sagte ich und entschwand mit ihr in Richtung Ausgang. »Er ist aus Atur. Da sind die Leute ein bisschen verklemmt.«
|221| Kapitel 19
Gentlemen und Diebe
E s war schon spät, als Denna und ich das EOLIAN verließen, und die Straßen waren menschenleer. In der Ferne hörte ich den Klang einer Geige und Hufgeklapper auf Kopfsteinpflaster.
»Also: Unter welchem Stein hast du dich die ganze Zeit verkrochen?«, fragte sie.
»Unter dem üblichen Stein«, erwiderte ich, und dann fiel mir etwas ein. »Bist du etwa in die Uni gekommen, um nach mir zu suchen? In diesem großen, rechteckigen Gebäude, das nach Kohlenrauch riecht?«
Denna schüttelte den Kopf. »Ich wüsste gar nicht, wo ich da anfangen sollte zu suchen. Das ist doch wie ein Labyrinth. Wenn ich dich nicht gerade bei einem Auftritt im ANKER’S erwische, weiß ich, dass ich Pech gehabt habe.« Sie sah mich neugierig an. »Wieso fragst du?«
»Ach, da hat nur jemand nach mir gefragt«, sagte ich mit wegwerfender Geste. »Eine Frau, die behauptet hat, ich hätte ihr einen Zauber angedreht. Ich dachte, das wärst vielleicht du gewesen.«
»Ich habe vor einiger Zeit tatsächlich nach dir gesucht«, sagte sie. »Aber deinen ganz besonderen Zauber habe ich nicht erwähnt.«
Das Gespräch verebbte. Ich bekam den Gedanken nicht aus dem Kopf, dass ich sie Arm in Arm mit Ambrose gesehen hatte. Ich wollte nichts Näheres darüber erfahren, aber zugleich war es das Einzige, woran ich denken konnte.
»Ich war im GRAUEN MANN und wollte dich besuchen«, sagte ich, um das Schweigen zu durchbrechen. »Aber du warst abgereist.«
Sie nickte. »Ja, Kellin und ich hatten eine kleine Auseinandersetzung.«
|222| »Nichts allzu Schlimmes hoffentlich.« Ich zeigte auf ihren Hals. »Die Kette trägst du ja noch, wie ich sehe.«
Denna berührte den tränenförmigen Smaragd. »Nein, nichts Schlimmes. Man mag über Kellin sagen, was man will, aber er denkt sehr traditionell. Wenn er etwas verschenkt, bleibt es auch dabei. Er hat gesagt, die Farbe würde mir gut stehen, und ich sollte auch
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