Die Furcht des Weisen / Band 1
an. »Wenn Ihr den Ring kaufen würdet, könnten wir ihn sofort für mindestens zwanzig Talente wieder verkaufen, und ich würde Euch die vier Talente auf der Stelle zurückzahlen.«
Sie trat wieder einen Schritt zurück und zuckte die Achseln. »Auf diese Art halt.«
Ich runzelte die Stirn. »Was soll denn das für ein Trick sein? Das fliegt doch sofort auf, sobald wir damit zum Schätzer gehen.«
Denna verdrehte die Augen. »So funktioniert das nicht. Wir verabreden uns hier für den nächsten Tag um zwölf Uhr mittags. Doch wenn ich hier eintreffe, hast du den Ring längst allein gekauft und bist damit über alle Berge.«
Da ging mir ein Licht auf. »Und du teilst dir dann das Geld mit dem Inhaber der Pfandleihe?«
Sie klopfte mir auf die Schulter. »Wusste ich’s doch, dass du es früher oder später noch kapierst.«
Es erschien mir wasserdicht – bis auf einen Punkt. »Da brauchst du aber eine Pfandleiher, der ebenso vertrauenswürdig erscheint, wie er insgeheim betrügerisch agiert.«
»Das stimmt«, gestand Denna. »Aber solche Läden sind üblicherweise markiert.« Sie wies auf den oberen Türrahmen der Pfandleihe. Dort erkannte ich eine Reihe von Kratzern, die man leicht auch für beliebige Schäden im Lack halten konnte.
»Ah.« Ich zögerte kurz, bevor ich hinzufügte: »In Tarbean bedeuteten solche Markierungen, dass der Laden …« Ich suchte nach einem passenden Euphemismus. »… auch Dinge annimmt, die man auf fragwürdige Weise erworben hat.«
Falls Denna von meinem Geständnis verblüfft war, ließ sie es sich zumindest nicht anmerken. Sie schüttelte nur den Kopf und zeigte |225| auf die einzelnen Kratzer. »Das hier heißt: ›Zuverlässiger Inhaber. Für einfache Tricks zu haben. Macht halbe-halbe.‹« Sie beäugte den restlichen Türrahmen und das Ladenschild. »Von Hehlerware steht hier nichts.«
»Ich habe diese Zeichen nie richtig lesen gelernt«, gestand ich. Dann sah ich sie von der Seite an und gab mir alle Mühe, unvoreingenommen zu klingen. »Und du weißt, wie so was funktioniert, weil …«
»… ich das in einem Buch gelesen habe«, erwiderte sie spöttisch. »Was glaubst du denn, woher ich sonst so was weiß?«
Sie ging weiter die Straße hinab. Ich schloss mich ihr wieder an.
»Ich spiele normalerweise nicht die Witwe«, sagte Denna eher beiläufig. »Dazu bin ich zu jung. Bei mir ist es ein Ring meiner Mutter. Oder Großmutter.« Sie zuckte die Achseln. »Je nach dem, was gerade passend erscheint.«
»Und was ist, wenn du auf einen ehrlichen Mann triffst?«, fragte ich. »Der pünktlich um zwölf auf der Matte steht und wirklich helfen will?«
»Das kommt nicht allzu oft vor«, sagte sie und verzog ein wenig den Mund. »Mir ist es bisher nur einmal passiert. Und da hat es mich kalt erwischt. Seitdem spreche ich es vorher mit dem Inhaber ab, nur für alle Fälle. Ich lege ja gern irgendeinen geldgierigen Mistkerl rein, der glaubt, er könnte ein junges Mädchen übervorteilen. Aber jemandem, der tatsächlich helfen will, nehme ich kein Geld ab.« Ihr Blick wurde wieder streng. »Im Gegensatz zu dem Luder, das den armen Geoffrey in die Finger bekommen hat.«
»Der stand Punkt zwölf bereit, nicht wahr?«
»Selbstverständlich«, sagte sie. »Und er hat ihr das Geld einfach so gegeben. ›Das musst du mir nicht zurückzahlen, meine Liebe. Du musst den Hof der Familie retten.‹« Denna fuhr sich mit den Händen durchs Haar und sah zum Himmel. »Den Hof! Das ergab ja nicht mal einen Sinn. Wieso sollte eine Bäuerin ein Diamanthalsband besitzen?« Sie sah mich an. »Wieso sind die anständigen Männer, was Frauen angeht, alle solche Idioten?«
»Er ist doch adlig«, sagte ich. »Kann er sich nicht einfach frisches Geld schicken lassen?«
|226| »Er stand nie auf gutem Fuß mit seiner Familie«, sagte Denna. »Und diese ganze Sache hat es nicht besser gemacht. Der letzte Brief, den er von zu Hause bekam, enthielt kein Geld, sondern nur die Nachricht, dass seine Mutter krank sei.«
Etwas an ihrem Tonfall ließ mich aufhorchen. »Wie krank?«, fragte ich.
»Krank.« Denna hob den Blick nicht. »Schwer krank. Und sein Pferd hatte er natürlich längst verkauft, und eine Schiffspassage kann er sich nicht leisten.« Sie seufzte erneut. »Es ist, als würde sich eines dieser scheußlichen Tehlanerdramen im wahren Leben abspielen.
Auf falschen Pfaden
oder so was in der Richtung.«
»In diesem Fall müsste er weiter nichts tun, als am Ende des vierten Akts in eine Kirche
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